ABSTURZ - ein Science-Fiction/Fantasy-Szenario ============================================== von Jan Richling und Julia Koehler julia@nordstern.net jan@nordstern.net (zusammen unter wir@jaju.de) Gespielt per eMail ueber "Blicke in Fremde Welten" http://www.nordstern.net/bfw.html --------------------------------------------------------------------------- Gaehnend lehnte sich Andrew Kalhanar zurueck und liess die Blicke ueber die breite Instrumententafel schweifen. Eine Reihe recht dunkel eingestellter Monitore lieferte Unmengen von Daten, deren Inhalt im wesentlichen auf das hinauslief, was er auch schon so wusste - dass naemlich alles in Ordnung war, und es nichts zu tun gab. Kurz huschte sein Blick nach links, wo das andere Pult ein anderes, viel intensiveres Leben zeigte, das die davor sitzende Frau auch ordentlich beschaeftigte, wie es aussah. Jedoch - noch ehe Andrew dazu kam, insbesondere diese Person naeher zu betrachten, erregte ein kleines rotes Feld auf einem der Monitore kurz seine Aufmerksamkeit, und riss ihn fuer einige Momente aus dem Zustand der Langeweile heraus. Dieses Signal teilte ihm naemlich mit, dass sich der Planet, dessen vierten Mond der kleine Erkunder ANACONDA gerade untersuchte, zwischen den Erkunder und das Mutterschiff SNAKE schob und damit die direkte Kommunikation unmoeglich machte. Der Bordrechner hatte jedoch keine Probleme, das Schwesterschiff, den Erkunder VIPER, als Relaystation zu benutzen, so dass Andrew weder etwas tun musste, noch eine Entscheidung faellen musste. Die Unterbrechung reichte aber, um seine Aufmerksamkeit wieder einmal auf die schmalen Fenster zwischen den Bildschirmen zu richten, auf denen der Mond nun langsam als schmale Sichel sichtbar wurde. Eigentlich war es eine Ironie, denn exakt diesen Mond untersuchte die ANACONDA bereits seit knapp einer Stunde, und erst jetzt naeherten sie sich langsam der Tagseite und konnten damit auch direkt mit den Augen etwas sehen, nicht nur mit Hilfe ganzer Kaskaden von Instrumenten, die die ANACONDA auf diesen Himmelskoerper richtete. Lange genuegte der Anblick des Mondes aber nicht, um Andrews Aufmerksamkeit zu fesseln, denn dafuer war der Anblick eines tristen Felsbrockens aus einigen hundert Kilometer Entfernung nun wirklich nicht geeignet, und wieder einmal begannen seine Gedanken eine Wanderung hinueber zur SNAKE mit all den vielen Moeglichkeiten der Erholung, Unterhaltung und auch Beschaeftigung. Viel lieber waere er jetzt dort, und wuerde bei der Vorbereitung des Raumsprunges zum naechsten Zielsystems mitmachen, als in dieser winzigen Kiste von einem Erkunder zu sitzen und auf Instrumente zu starren, die nichts spannendes zu berichten zu haben, und als einzige Gesellschaft eine Wissenschaftlerin zu haben, die genauso redsam wie der Mond da draussen war. *** Haette Jasmine auch nur geahnt, dass sie in den Gedanken des Piloten mit einem Mond verglichen wurde, haette sie wohl laut gelacht und es sich ewig gemerkt, um es dann den Leuten vorzuhalten, die doch tatsaechlich behaupteten, sie koenne ihr Klappe nicht halten. So sass sie hingegen mit unberuehrter Miene vor den wild blinkenden Lichtern, die ein wenig vor ihren Augen zu verschwimmen begannen, bis sie nach einem Blinzeln wieder versuchte, ihre Aufmerksamkeit auf sie zu richten. Im Grunde sagten die Daten, die sie empfing, nicht mehr als das aus, was sie bereits wusste. Der Planet, dem man noch nicht einmal einen Namen, sondern nur eine unmerkbare Nummernfolge als Bezeichnung goennte, war noch uninteressanter als der, den sie zuvor erforscht hatten. Keine Spuren von auch nur annaehend intelligenten Leben, keine aussergewoehnlichen Planzen, sie konnte nicht verstehen, warum sie hier Zeit und Ressourcen verschwendeten, ihn noch weiter zu erforschen. Ihre Gedanken schweiften wieder zu Winston, den stellvertretenden Chefwissenschaftler der SNAKE. Eigentlich hatte sie ihm diesen innteressanten Ausflug zu verdanken, ihm und ihrer grossen Klappe. Aber was sollte sie machen? Er war eben verdammt suess und wenn sie Corine ausstechen wollte, musste sie sich eben anstrengen. Das Piepsen der Geraete ging ihr auf die Nerven und verursachte bei ihr einen leisen Anflug von Kopfschmerzen, waehrend sie erneut versuchte, den neu eintreffenden Daten etwas Spannendes abzugewinnen, was ihr nicht wirklich gelang. *** Die schmale Sichel des Mondes wurde immer breiter, waehrend sich die ANACONDA zusammen mit diesem Mond zusammen immer weiter in den Funkschatten des grossen Planeten bewegte. Natuerlich beunruhigte dies den Piloten nicht im geringsten, zeigten doch die Instrumente, dass die Verbindung ueber die VIPER stabil stand, und dass sich auch PYTHON, der dritte der im Einsatz befindlichen Erkunder, in Reichweite befand. Im Moment gab es allerdings auch nichts, was diese Verbindung uebertragen sollte - auf einer Routineerkundung, die insgesamt kaum vier Stunden dauerte, fuehrte niemand lange Gespraeche, denn dazu war spaeter auf dem Mutterschiff noch genug Zeit, und vor allem auch viel mehr Ruhe. So uebertrug diese Verbindung im Moment nur einen endlosen Strom von Daten, die der Bordrechner der ANACONDA dem grossen massiv parallelen Rechner der SNAKE zu erzaehlen hatte. Andrew wollte sich gerade wieder abwenden, als ein kurzes Aufgluehen am Rande seines Sichtfeldes seine Aufmerksamkeit erregte. Es war kaum mehr als das Aufgluehen eines Meteoriten, der in die Atmosphaere eines Planeten eindringt, nur gab es an dieser Stelle weder eine Atmosphaere, noch einen Planeten, es war viel weiter draussen im Raum. Allerdings bekam der Pilot erst einmal keine Gelegenheit, weiter darueber nachzudenken, denn mit einem kurzen schrillen Sirren schoben sich die strahlungsfesten Sichtblenden vor die Fenster, und auf der Intrumententafel ging ein wahres Inferno von Warnmeldungen und Ausfallmeldungen los - allerdings alles Ausfaelle und Warnungen recht niedriger Prioritaet, die keine lebenswichtigen Systeme betrafen. Dennoch reichten sie fuer einen gehoerigen Schreck, denn in solch einer Haeufung tritt derlei normalerweise nicht auf, dazu sind die Bordsysteme des kleinen Erkunders einfach viel zu redundant ausgelegt. Andrews Blicke erfassten die wichtigsten Anzeigen innerhalb von Sekunden: Position, Geschwindigkeit, Abstand zu anderen Himmelskoerpern - alles unveraendert, waehrend ein Stueck weiter unten eine betraechtliche und spektral weit gefaecherte Strahlung angezeigt wurde, deren Intensitaet etwa bei achtzig Prozent dessen lag, was die ANACONDA aushalten konnte. Zuerst beruhigte dieser Umstand den Piloten, aber dann durchzuckte ihn ein gehoeriger Schreck: Die ANACONDA war ein Erkunder fuer alle moeglichen Zwecke, und von daher alles andere als schwach abgeschirmt - ihre Abschirmung war sogar wirkungsvoller als die des Mutterschiffes, das allerdings im Gegensatz zu dem kleinen Erkunder auch noch extrem leistungsfaehige Schutzfeldsysteme besass. Was auch immer passiert war - es musste in der Intensitaet dem Randbereich einer leistungsstarken Strahlenwaffe gleichkommen! Alarmiert setzte Andrew sich nun auf, und begann, in einem fast schon moerderischen Tempo, dem Bordrechner weitere Informationen zu entlocken. Der Wissenschaftlerin am anderen Pult schenkte er indes keinerlei Beachtung. *** Auch Jasmine wurde aus ihren Ueberlegungen geschreckt, als in die bisher monoton, mit langsamer Regelmaessigkeit vor sich hinpiepsenden Geraete bisher ungeahntes Leben fuhr. Ueberall leuchteten rotgluehende, blinkende Laempchen auf, schnellten bisher beinahe ebene Kurven fast senkrecht in die Hoehe. Waehrend sich die Wissenschaftlerin sich noch fragte, was zum Teufel hier denn eigentlich los sei, begannen die verschiedenen Monitore immer die gleiche Fehlermeldung anzuzeigen, naemlich dass bei ihnen die Verbindung zu den anderen Schiffen abgebrochen war, nur die einzelnen Namen waren verschieden. Selbst die SNAKE war unter ihnen. 'Diese verdammte Kiste ist schon wieder kaputt', fluchte die junge Frau innerlich und klatsche mit der flachen Hand auf der Pult, was die Fehlermeldungen selbstverstaendlich nicht verringerte. In den letzten Wochen ihres Fluges hatten sich die technischen Ausflaelle und Defekte, sowohl beim Mutterschiff, als auch bei den Shuttles immer mehr gehaeuft, doch so etwas war ihr noch nicht passiert. "Bloedes Ding!" Veraergert verpasste Jasmine der Maschine einen Tritt mit dem Fuss, was diesen ein wenig schmerzte, jedoch ihre Wut ueber diesen erneuten Ausfall wieder etwas besaenftigte. Nachdem sie ihre Aggression an ihm ausgelassen hatte, versuchte Jasmine, die bei jeder noch so laecherlichen Fehlfunktion normalerweise einen Techniker rufen liess, missmutig herauszufinden, was dieses Ding ihr eigentlich sagen wollte. *** Fieberhaft huschten Andrews Finger weiter ueber die Tastatur, denn das, was das System nach und nach vor ihm entblaetterte, gefiel ihm ueberhaupt nicht. In diese Situation hinein hoerte er Jasmines Fluch, und dieser veranlasste ihn, endlich einmal den Blick in ihre Richtung zu wenden. Aus der Entfernung konnte er auf ihrem Pult nicht wirklich etwas erkennen, aber das allgemeine Bild reichte im Grunde auch schon, um zu sehen, dass da etwas nicht stimmte, ganz so, wie es das bei ihm auch tat. "Das Ding kann da nichts fuer", kommentierte er, waehrend er sich schon wieder abwandte. Er mochte es nicht, wenn Menschen ihren Unmut an den unschuldigen Verkleidungen von Geraeten ausliessen, die meist ueberhaupt nichts damit zu tun hatten. Zumal in diesem Fall... Er tippte noch einmal die Anweisung ein, einen Reconnect zu den Computersystemen des Bordrechners der SNAKE zu versuchen, und wandte sich nach den diversen Fehlermeldungen dann dem Breitbandscanner auf der rechten Seite des Pilotenplatzes zu. "OUPS!" entfuhr es ihm, als er die Resultate des Scans scharf und deutlich auf dem kleinen Nebenbildschirm sah. Wieder begann er, hektisch herumzuschalten, diesmal sowohl am Scanner, als auch an der Funkkonsole, so dass er sich mit dem Pilotensessel wild hin und her drehen musste, denn die Funkkonsole befand sich natuerlich zwischen den beiden Arbeitsplaetzen. *** Die Bemerkung des Pilots erzeugte bei der Wissenschaftlerin nur ein veraechtliches Schnauben. Sie hatte keinerlei Mitleid mit Maschinen, schliesslich war es ihr Zweck, nuetzlich zu sein und das waren diese blinkenden Anzeigen in keinster Weise. Wenn man den bloedsinnigen Anzeigen glauben sollte, wollten sie ihr weissmachen, dass etwas sehr grosses auf der anderen Seite des Planeten soeben explodiert war, was das Strahlungsniveau um ein Vielfaches in die Hoehe katapultiert hatte und sie sich nur noch am Leben befanden, weil der Planet und der Mond, hinter denen sie sich befanden, dem Shuttle als eine Art natuerliches Schutzschild dienten. Aber das war absoluter Schwachsinn. Bei der vorletzten Mission war ein Shuttle wahrscheinlich wegen eines bei der Wartung uebersehenen technichschen Defekts, aber vielleicht auch wegen einer Unachtsamkeit des Piloten explodiert, aber die Strahlungswerte waren bei weitem nicht in diesen uebertoedlichen Bereich geschnellt. Als sie auf der anderen Seite des Cockpits den Ausruf des Piloten und seine hektischen Bewegungen bemerkte, drehte sie sich zum erstenmal vollstaendig zu ihm rueber. So, Mr. Cool war also ebenfalls aufgewacht. Mit einem spoettischen Glitzern in den gruenen Augen und einer honigzarten, vor Unschuld triefenden Stimme fragte sie: "Stimmt etwas nicht?" *** Es dauerte einen kleinen Moment, bis der Pilot bemerkte, dass die Wissenschaftlerin in der Tat etwas gesagt hatte. "Das kann man so sagen, es stimmt etwas ganz und gar nicht! Ich bekomme keinerlei Funkaktivitaeten herein, weder von der SNAKE, noch von der PYTHON oder der VIPER. Und unser Geraet funktioniert, das habe ich gerade getestet, und die Antennen gehen auch noch, denn das Echo vom Mond bekommen wir klar und deutlich herein." Er deutete dabei auf den Monitor am Funkscanner, der eine wunderschoene Sinuskurve zeigte, soweit man bei derartigemn Kurven von Schoenheit sprechen konnte. "Und die anderen beiden Erkunder sind noch nach wie vor..." Waehrend er redete, hantierte er an den Armaturen herum, und schwenkte einen Satz Aussenkameras in die Richtung, aus der die letzte Ortung der VIPER gekommen war. Auf dem grossen Schirm war erst der Mond zu sehen, dann schwarzer Himmel mit Sternen, dann... immer noch schwarzer Himmel mit Sternen. Die Sterne schienen zu wachsen, als Andrew am Zoom drehte, aber das aenderte nichts. "Die VIPER ist weg!" *** "WAS?" Mit einem Gemisch aus Unglauben und Entsetzen beugte sich Jasmine vor, um einen genaueren Blick auf den Monitor werfen zu koennen. Unwillig schuettelte sie den Kopf. Das konnte doch nicht stimmen. Diese Idiot musste in die falsche Richtung gezoomt haben. Oder er erlaubte sich einen geschmacklosen Scherz mit ihr, aber das wuerde ihm noch vergehen. Schnell tippten die Finger der jungen Wissenschaftlerin ueber die Konsole, als sie nach Spuren eines vergangenen Ortswechsels suchte, doch da war nichts. Jasmines Gehirn rattete fieberhaft, waehrend sie die ihr einfallenden Moeglichkeiten zur Lokalisation des anderen Shuttles ohne Erfolg ausprobierte. Schliesslich liess sie sich veraergert in ihren Sessel fallen und blitze den Piloten wuetend an. "Ich gebe auf, Sie haben gewonnen. Was haben sie mit dem verdammten Schiff angestellt?" *** Andrews Finger huschten weiter rasend schnell ueber die Eingabegeraete, dann zuckte er zu der Wissenschaftlerin herum, als ihm deren Bemerkung so richtig bewusst wurde. "Wie bitte? Nichts habe ich gemacht! Die VIPER ist weg, die SNAKE erreichen wir nicht, und die PYTHON..." Alle Aussenkameras der ANACONDA schwenkten parallel herum, so dass nahezu alle Bildschirme das gleiche zeigten, als die Automatik die Objektive auf die Stelle gerichtet hatte, an der sich die PYTHON befand: Die leere Schwaerze des Alls. "Etwas stimmt hier ganz und gar nicht", sagte der Pilot dann, waehrend seine Stimme immer leiser wurde. "Das ist kein Scherz, hier muss etwas los sein, denn so kapital koennen die Systeme dieses Erkunder gar nicht auffallen. Und ebenso kann ein solcher Erkunder nicht einfach verschwinden, da muss doch..." Waehrend er das sagte, gaben seine Finger fast automatisch Befehle ein, und einige Bildschirme begannen, wechselnde Bilder zu zeigen, als der kleine Raumscanner des Erkunders die Umgebung um den Ort, an dem sich die PYTHON zuletzt gemeldet hatten, absuchten. Schliesslich blieben die Bilder stehen, und ebenso verstummte Andrew mitten im Satz, und seine Finger verharrten starr einige Millimeter ueber der Tastatur. Der leistungsfaehigste Kamerasatz hatte mit nahezu maximalem Zoom einen recht kleinen Koerper herangeholt, ein ganzes Ende entfernt und sich mit recht hoher Geschwindigkeit weiter entfernend - einen kleinen Koerper, der entfernt an einen Erkunder erinnerte, aber an seiner Oberflaeche auf der einen Seite fast vollkommen in sich zusammengeschmolzen war. *** So langsam wurde Jasmine nun doch bewusst, dass es sich hier um eine Tragoedie, nicht um einen schlechten Scherz handelte, denn die Daten, die sie bekam, bestaetigten das Gesagte des Piloten, nach denen kein einziges Schiff mehr da war, wo es haette sein sollen, dafuer jede Menge Strahlung, die vorher nicht da war. Jedoch verbesserte dieses Wissen ihre Laune nicht gerade. Jasmine war eine Frau, die aus jeder Situation das Beste herausholte und das beste, was sie mit dieser alptraumaehnlichen Situation anstellen konnte, war, sie zu leugnen. Wahrscheinlich lag es an den mit Kaese ueberbackenen Schollenfilets, die sie sich gestern Abend genehmigt hatte, oder an der Himbeersahnetorte zum Nachtisch. Ihr fiel die Entspannungsuebung ihres psychologischen Beraters ein, die sie in Stresssituationen anwenden sollte, und wenn das hier keine Stresssituation war - was dann? Da sie nicht bereit war, sich auf die Situation einzulassen, ohne sich vorher in einem Zustand der absoluten Gelassenheit zu befinden, oder vorher aufgewacht zu sein, schloss sie die Augen, zwang sich, ruhig zu atmen und begann mit geschlossenen Augen ganz langsam zu zaehlen: "Eins....Zwei....Drei..." *** Der Pilot des kleinen Erkunders fragte in Richtung seines Pultes, ohne sich der Wissenschaftlerin zuzuwenden: "Was zaehlen Sie da? Haben Sie etwas entdeckt, das Licht ins Dunkle bringt?" Die Frage wirkte fast ein wenig beilaeufig, auch wenn sie das gerade nicht war, denn Andrew war voll auf die Schiffssteuerung konzentriert, die neben dem Kamerasystemen fuer ihn die effektivste Moeglichkeit war, mehr zu erfahren. Ohne weitere Warnungen oder Ankuendigungen betaetigte er eine Reihe von Schaltern, bis ein Stueck unter den beiden Menschen leicht nach hinten versetzt die beiden Aktiv-Raumtriebwerke mit einem dumpfen Heulen ansprangen und sogleich auf eine niedrige Leistungsstufe hochfuhren. Ein kurzer Schwenk des multifunktionalen Steuerknueppels vor Andrew drehte die ANACONDA scharf nach links, dann wurde das Triebwerksgeraeusch schriller, als er die Aggregate langsam auf Leistung brachte und den Erkunder schneller werdend in Richtung des Gegenstandes in Bewegung setzte, den sie vor kurzem geortet hatten. *** "... vier ... fuenf .... sechs ... siebHEE!" Die Frage des Piloten konnte Jasmine noch ignorieren, anders verlief es mit seinen gewagten Flugmanoevern, die sie erst in ihrem Sitz auf die Seite warfen, um sie anschliessend nach gewaltsam nach hinten zu druecken. Sich krampfhaft an der Seitenlehne festhaltend, warf die Wissenschaftlerin dem ruecksichtslosen Kerl einen hasserfuellten Blick zu. Ihre Konzentration war Vergangenheit und ebenso erging es dem letzten Rest von guter Laune. "Sie koennten mich ruhig vorher warnen, bevor sie uns beide umbringen", zischte sie, waehrend ihre Finger nun doch folgsam ueber die Tasten huschten, um mit der Kamere noch mehr das Objekt anzuzoomen, das jetzt um ein betraechtliches Stueck naehergekommen war. *** Eigentlich haette es keinen Ruck geben sollen, aber ein Blick auf die Konsole verriet dem Piloten rasch, dass er vergessen hatte, den Kompensator nach den Messungen wieder zu aktivieren. Andrew murmelte ein leises "Entschuldigung", waehrend er den Beschleunigungskompensator wieder anschaltete, und die ANACONDA in einem eleganten Bogen aus dem Sichtschatten des Mondes und kurz danach des Planeten herausfuehrte. Der kurze Impuls hatte gereicht, um das Raumfahrzeug zu beschleunigen, die naechste Bewegung des multifunktionalen Steuers drehte es um neunzig Grad, so dass es mit der Backbordseite voran flog - solange die Triebwerke nicht liefen, spielte das absolut keine Rolle. So war jedoch der Bug mit den Sensorbloecken auf die SNAKE gerichtet, die jeden Moment hinter dem Planeten sichtbar werden musste... eigentlich. Alles, was passierte, war ein heftiger Anstieg der Strahlung, bis kurz unter das Maximum dessen, was die Huelle der ANACONDA abhalten konnte, sichtbar war indes nichts, weder im sichtbaren Spektrum, noch sonst irgendwo. Die SNAKE war einfach weg, es war nicht einmal ein Materie-Klumpen zu sehen, wie es ihn an der Stelle gab, wo sich zuvor die PYTHON befunden hatte, und auf die die ANACONDA im Moment zutrieb. "Sie ist... weg...", sagte Andrew in Richtung der Kontrollen, waehrend er auf die Bildschirme zeigte, die nichts anzeigten. "Etliche tausend Tonnen - sie kann doch nicht einfach..." Offenbar konnte sie doch, denn ausser Strahlung war nichts nachweisbar. *** "Verschwinden?" Mit neu gewonnener Lebendigkeit sprang die Wissenschaftlerin auf, in ihren Augen leuchteten eine Mischung aus kalter Furcht und aufkeimenden Wahnsinn. Das war ein Alptraum und sie hatte nicht vor, ihn alleine zu ueberstehen. Da Mr. Eisklotz noch immer die Ruhe selbst zu sein schien, bekam er von Jasmine die Aufgabe uebertragen, sie zu troesten und fuer Klarheit zu sorgen. "Das wollen Sie doch sagen, oder? Sie meinen sicherlich, dass die SNAKE weggeflogen ist, um sich vor aus unerfindlichen Gruenden ploetzlich entstandenen Strahlung in Sicherheit zu bringen." Mit aller Kraft hielt sie sich an der Lehne des Pilotensessels fest, als sei er der letzte rettende Strohhalm, der sie langsam unter ihren Fingern aufzuloesen begann. *** Der Pilot antwortete nicht sofort, sondern sah weiter konzentriert auf die Messgeraete und nahm einige weitere Aenderungen an den Einstellungen vor, insbesondere an den Langstreckenscannern und der Kommunikationskonsole. Dann erst genehmigte er sich den Luxus, sich fuer die Antwort ein wenig nach vorne zu beugen und dann umzudrehen, so dass er die hinter ihm stehende und sich am Sitz festklammernde Wissenschaftlerin ansehen konnte, "Sehen Sie selbst, unsere Sensoren erfassen das Schiff nirgends. Selbst bei maximaler Antriebsleistung kann die SNAKE in dieser kurzen Zeit nicht aus dem Bereich unserer Sensoren geflogen sein, und wenn doch, dann haette sie eine Antriebsspur hinterlassen, die wir noch nach einigen Stunden haetten sehen muessen." Wieder klang die Antwort ruhig, denn die technischen Erklaerungen waren etwas, das der Pilot seit Beginn seiner Ausbildung immer wieder gehoert und auch selbst erzaehlt hat, also absolute Routine. Die Bedeutung dessen, was er da eigentlich sagte, drang dagegen nur sehr viel langsamer zu ihm durch, im Moment schien das ganze noch ein interessantes Phaenomen zu sein, das man untersuchen konnte - was er auch nach Kraeften tat. "Es mag natuerlich sein, dass diese Strahlung unsere Sensoren verwirrt, und dass Sie recht haben, in diesem Fall aber..." Er schaltete erneut, und diesmal zuckte er sichtbar zusammen, als sich auf dem Bildschirm ein Spektralbild der Strahlung aufbaute, das eindeutig kugelfoermig war, und dessen Mittelpunkt eindeutig an der Stelle lag, an der sich die SNAKE befunden hat. "...ist die Strahlung genau dort, wo sie waren, sie ist nicht irgendwoher gekommen. Und laut Analyse..." Er schaltete noch einmal, dann baute sich unter dem Bild das Ergebnis in Form einer knappen Textzeile auf: "Ursache der Strahlung: Explosion eines Aktiv-Materie-Reaktors, 98% Wahrscheinlichkeit, unbekannte Herkunft, 2% Wahrscheinlichkeit." Darunter folgten noch Typenbezeichnungen, Materie- und Strahlenkonzentrationen, doch diese brauchte Andrew gar nicht nachschlagen, ihm war auch so klar, dass das genau die Art von Reaktoren und Treibstoff war, wie die SNAKE sie benutzt, und wie sie auch die ANACONDA besitzt. *** Zwei Prozent, das war ein verflucht duenner Strohhalm, aber im Moment nahm Jasmine gerne das auf, was ihr geboten wurde. Es gab so wunderbar viele Moeglichkeiten der Erklaerung. Die Sensoren waren kaputt, der Pilot uebermuedet, die Ausgabe war defekt und taeuschte die Augen mit falschen Werten, jede Wahrscheinlichkeit, die ihr dabei half, sich selbst zu beluegen, war ihr mehr als willkommen. Der Kunststoffbezug des Sessels klebte unangenehm an ihrer Haut und machte ihr bewusst, dass sie innerhalb der letzten Minuten wohl ganz schoen ins Schwitzen gekommen war und das wirklich schlimme daran war, dass, wenn das stimmte, was ihr die Instrumente und der verrueckte Pilot weiss machen wollte, sie niemals wieder in den Genuss eine kuehlen Dusche kommen wuerde. "In Ordnung", seufzte die dunkelhaarige Frau auf und rieb sich an den Schlaefen, um die Kopfschmerzen zu vertreiben: "Nehmen wir mal an, rein hypothetisch versteht sich, es waere so, wie Sie sagen und das Mutterschiff, sowie alle anderen Shuttles waeren zerstoert und wir beiden Suessen die einzigen Ueberlebenen", ein kuenstlich suesser Ton schlich sie in ihre Stimme, "wie lange wuerde es dauern, bis Sie uns mit diesem Ding wieder nach Hause gebracht haben? Ich meine, ich habe Verspflichtungen, wenn Sie verstehen, was ich meine." *** Zwei Prozent, das war die Zahl, auf die Andrews Augen noch eine ganze Weile gerichtet waren, und er versuchte, die Kalkulationen zu bedenken, die zu dieser Zahl gefuehrt hatten. Es gab ungeschriebene Regeln fuer solche Berechnungen, und eine davon war, dass es nie etwas geben konnte, das hundertprozentig sicher war, und eine weitere besagte, dass das Eingreifen von Kraeften unbekannter Art und Herkunft gerade bei solchen Tiefraummissionen eine Groesse war, die ebenfalls beruecksichtigt werden musste. Dies alles zusammen machte selbst absolut sicher geltende Erkenntnisse zu einer Wahrscheinlichkeitsangabe, die unter hundert Prozent liegen musste, in den meisten Faellen sogar weit unter hundert Prozent. Hier dagegen... diese "zwei", die da frech auf dem Monitor stand, war eine glatte Luege, das wurde dem Piloten des Erkunders immer mehr bewusst, eine Luege, die durch all die anderen Messwerte ueberfuehrt wurde. Langsam, ganz langsam, begann die damit verbundene Erkenntnis, in sein Hirn und seine Gedanken vorzudringen, wie eine Botschaft, die zwar praesent ist und vom Verstand schon lange als richtig erkannt wurde, die aber doch alles andere als real scheint, so, als wuerde er sie in einem Video sehen, das von den Taten irgendwelcher ausgedachter Figuren handelt. Das Wissen um das Geschehene, und das dazugehoerige Verstehen, das waren zwei Dinge, die nicht unmittelbar aufeinander folgen muessen, in manchen Faellen auch gar nicht koennen. Vorerst blieb Andrew auch keine Zeit dazu, weiter darueber zu sinnieren, denn die Worte der hinter ihm stehenden Wissenschaftlerin lieferten eine Ablenkung, wenn auch keine sehr willkommene, da sie natuerlich auch mit diesem Thema in Zusammenhang standen. Aber sie lenkten ihn von der Betrachtung von vagen Moeglichkeiten ab hin zu Dingen, die er kannte und beherrschte. Ihre Art, die Fragen zu stellen, insbesondere der Unterton, der irgendwie zwischen den Worten mitklang und so gar nicht zum Ernst dieser Situation zu passen schien, war ein erster Hinweis, dass es dieser Frau kaum anders ging, aber noch war das alles fuer Andrew zu neu und zu ueberwaeltigend, um das mehr als beilaeufig festzustellen. "Ob es so ist, wie ich gesagt habe, dass werden wir bald wissen, auch wenn ich fuerchte, dass wir wohl nie absolute Gewissheit haben werden, es sei denn, die SNAKE oder einer der Erkunder taucht unvermittelt in unserer Umgebung auf." Er sprach dieses, ohne sich zu Jasmine umzudrehen, sondern regelte den Zoom der auf das potentielle Wrackstueck der PYTHON gerichteten Kamera ein wenig nach, ohne dass das sichtbare Ergebnisse brachte. Anschliessend, nach einer weiteren kleinen Pause, drehte er sich dann doch um und setzte seine Antwort fort: "In dem Fall, dass dies nicht geschieht, haben wir ein wirkliches Problem. Wir sind tief im Raum, und dies ist... war... eine Erkundungsmission, niemand weiss um den genauen Kurs der SNAKE, und Sie wissen selbst, wie viele Systeme wir erkundet haben. Es duerfte lange dauern, uns zu finden, wenn ueberhaupt jemand anfaengt zu suchen. Und die ANACONDA..." Andrew wandte sich wieder den Pulten zu, und liess seine Finger ueber die Tastatur des Rechners fliegen, ohne wirklich zu merken, was er da ausrechnete, und was es besagte. "...wuerde nach einer Beschleunigung mit dem verbleibenden Treibstoff und einem anschliessenden Freiflug etwa zweihundert Jahre bis zur naechsten Sternenbasis brauchen..." Die Worte wurden gegen Ende hin immer leiser, und der Pilot liess sie schliesslich in die relative Stille des Cockpits, die nur vom dumpfen Geraeusch der im Leerlauf arbeitenden Triebwerke und dem Summen diverser Geraete gestoert wurde, ausklingen, ohne die zweite Erkenntnis dazuzusagen, die in Form einer zweistelligen Zahl auf seinem Bildschirm stand. *** Die relative Stille waehrte nicht lange. "ZWEIHUNDERT JAHRE!" Keine laut aufheulende Sirene koennte es mit der Intensitaet von Jasmines Stimme aufnehmen, die sich innerhalb des Tones noch mehrfach ueberschlug. Die Aussicht, den Rest ihres Lebens in dieser Kiste zusammen mit diesem Kerl verbringen zu muessen, schien sie mehr zu entsetzen als der wahrscheinliche Tod all derer, mit denen sie die letzten Monate verbracht hatte. Aber es gab keine Zeit fuer Trauer, keine Zeit alleine dafuer, sich des Verlusts auch nur bewusst zu werden, die Gespenster der Gegenwart brummten in ihrem Kopf wie Bienen in ihrem Stock. "Zweihundert...", klang es noch einmal, diesmal etwas erstickt und leiser, ein Luftholen war zu hoeren, "ICH HABE ABER KEINE ZWEIHUNDERT JAHRE." Ein paar sehr undamenhafte Flueche schlossen sich der Feststellung an, waehrend Jasmines Faust immer wieder auf die bemitleidenswerte Sitzlehne niedersauste, was dieser jedoch keine neuen Erkenntnisse entlockte. "Tun sie doch was! Funken Sie SOS, benachrichtigen Sie irgendwen! Das Militaer, andere Stationen, Schiffe. Holen Sie Hilfe, SOFORT, ODER SIE WERDEN ES BITTER BEREUEN!" *** Andrew zuckte bei den lauten Worten der Wissenschaftlerin zusammen, als waeren es Peitschenhiebe, die ihn trafen. Er sagte erst einmal gar nichts, denn in der Tat hatte ihn da etwas getroffen, auch wenn dies weder die Worte, noch imaginaere Peitschenhiebe waren. Es war... die Wahrheit, die durch diesen Ausbruch geschafft hat, den Weg in sein Bewusstsein soweit zu schaffen, dass sie ihm klar wurde, viel klarer als diese Zahl da auf dem Bildschirm. 'Aus! Es ist aus!' Einzig dieser Ausbruch war es jedoch, der ihn zurueckhielt, diese Erkenntnis und das, was damit zusammenhaengt, in die kleine Kabine hinauszuschreien, aus Angst, es damit noch viel schlimmer zu machen. Leise, fast sanft, antwortete er, waehrend er sich Jasmine zuwandte: "Ich weiss, dass wir keine zweihundert Jahre haben, aber wir haben genug Zeit, in Ruhe darueber nachzudenken, was wir tun koennen." Die Worte hatten einen zweifelnden Unterton, als glaubte er nicht selbst daran, denn schliesslich gab es da noch jene andere, bedrohliche Zahl. "Etwas tun", griff er ebenso leise, aber mit ein wenig festerer Stimme die Frage Jasmines auf, "das koennen wir nicht, nicht so. Jede herkoemmliche Funknachricht wuerde fuenfzig Jahre brauchen, um die naechste Basis zu erreichen, und unser Hyperfunkgeraet ist nicht in der Lage, solche Entfernungen zu ueberbruecken. Selbst wenn es das waere... wir haetten nicht genug Energie." Wieder machte er eine kleine Pause, und fuhr dann fort: "Wir koennen nichts tun, das schnelle Ergebnisse bringt, wir muessen nachdenken, was uns ueberhaupt an Alternativen bleibt. Und da halte ich das da fuer unser erstes Ziel." Ohne sich von der Gespraechspartnerin abzuwenden, zeigte sein Zeigefinger dabei in etwa in Richtung des Bildschirms, auf dem das, was einmal die PYTHON gewesen war, langsam groesser wurde. *** Jasmine schaffte es nicht, den Augenkontakt aufrechtzuhalten, folgsam huschte ihre Blick ueber den Zeigefinger, dorthin, wohin er deutete. Ihre Augen verengten sich und einen Moment lang schien die Wissenschaftlerin darueber nachzudenken, was ihr der Pilot mit dieser Bewegung wohl sagen wollte. Mit etwas Phantasie koennte, und Jasmine war gewillt, sehr viel Phantasie aufzubringen, man etwas anderes sehen, etwas, wie einen seltsam geformten Asteroiden, der verloren im ihn umgebenden Nichts schwebte, doch letztlich lag es nur zu nahe, worum es sich bei dem seltsamen Objekt handelte. "Ein Wrack?" ruckartig wendete sich die Frau wieder zu dem Zeiger um, "Wie soll uns denn ein Wrack wieder nach Hause bringen?" Ihr Gesicht war schmal und einen Tick zu hell fuer die dunkelbraunen Haare, die es umgaben und die Nase ein wenig zu spitz, um es zu edlen. Ebenso wie die schmalen Lippen waren sowohl Wangen, als auch die grossen, gruenen Augen sorgsam geschminkt, doch obgleich viele sagten, dass letztere das Schoenste an Jasmines Gesicht waren, blitze in ihnen nun Aerger und Misstrauen. Warum sollte sie ihm auch vertrauen? Sie kannte noch nicht einmal seinen Namen. Zwar hatte er ihr diesen am Anfang dieses Horrortrips genannt, doch da hatte sie ihn noch als unwichtig abgetan und gleich wieder vergessen. Warum sollte er sich mit solchen Situationen auskennen? Er sah nicht besonders alt und erfahren aus, genaugenommen konnte er seinen Flugschein erst kurz vor Anfang der Mission gemacht haben, das Budget der Wissenschaftsabteilung war knapp und jeder, der einen geringen Lohn verlangte, war dort lieber gesehen als ein teuerer Experte. Und wer sagte eigentlich, dass er ueberhaupt Pilot war? Schliesslich hatte sie selbst ja auch diesen Kittel an und war keine Wissenschaftlerin, sondern lediglich eine dumme Gans, die fuer jemanden mit einem gebrochenen Arm eingesprungen war, um jemanden zu gefallen, der jetzt nicht mehr als ein Haeufchen Asche war? Ein Schaudern lief ueber ihren Ruecken, waehrend sie den kleinen Rest Verstand, der ihr noch uebrig geblieben war, zusammen nahm. "Schon gut. Lassen Sie es uns langsam angehen. Erklaeren Sie mir Ihren Plan und ich sage Ihnen, was ich von ihm halte, ja?" *** "Nicht so schnell!" erwiderte Andrew mit einem fast tadelnden Unterton auf die Frage, wie das Wrack helfen koenne, "ob das ein Wrack ist, muss sich erst noch zeigen! Sophia ist eine hervorragende Pilotin, vielleicht konnte sie die PYTHON so drehen, dass sie es ebenfalls ueberlebt haben, und nur die Energie zusammengebrochen ist!" Da war es wieder, das Wort, um das sich Andrews Gedanken, soweit sie nicht mit der Aussichtslosigkeit dieser Situation beschaeftigt waren, drehten: Energie. Energie war das einzige, das die Insassen der kleinen ANACONDA am Leben hielt, Energie sorgte fuer Waerme, fuer Atemluft, fuer Licht, und fuer die Moeglichkeit, den Raumerkunder zu bewegen. Aber fuer wie lange? "Einen wirklichen Plan habe ich noch nicht, dazu weiss ich noch zu wenig", griff er die zuletzt gestellte Frage auf, "aber zumindest eine Idee, wie wir anfangen sollten. Und zwar moechte ich die ANACONDA jetzt ohne weitere Beschleunigung bis zur PYTHON treiben lassen, damit wir erfahren, was aus Sophia und ihrem Passagier geworden ist, und vielleicht auch naeheres ueber den Hergang der Katastrophe." So, wie Andrew das aussprach, wies alles darauf hin, dass er die achtundneunzig Prozent als die Wahrheit ansah. "Und danach moechte ich die VIPER suchen. Was halten Sie davon?" *** "Pah", schnaubte Jasmine abschaetzig bei soviel offensichtlicher Naivitaet, "dieses Schaetzchen Sophia kann die Explosion genauso wenig vorhergesehen haben, wie wir. Sie mag ja die beste Pilotin sein, die unsere Kultur jemals hervorgebracht hat, doch bei diesem Strahlungsniveau", sie huepfte wieder zu ihrem Wissenschaftspult und tippte hektisch ein paar Befehle ein, worauf auf einem der Monitore eine Anzeige mit verschiedenen Flaechen in intensiven Rottoenen erschien, unter der sich eine Liste mit auffaellig hohen Zahlen befand, "haette Sie noch nicht einmal eine Chance gehabt, wenn sie eine Goettin der Flugkunst gewesen waere. Oder glauben Sie, wir koennen uns jetzt noch unterhalten, weil Sie so ein toller Pilot sind?" Sie lachte kurz auf, zumindest sollte es ein Lachen werden, doch die Fluessigkeit, die sich in ihren braunen Rehaugen funkelte, waren bestimmt keine Lachtraenen. "Aber schoen, ich weiss auch nicht, was wir sonst tun koennen. ABER wenn die PYTHON ebenso tot ist, wie sie aussieht und wir bis dahin nicht von der VIPER hoeren oder sehen, sollten wir uns schleunigst einen Alternativplan ausdenken, haben Sie mich verstaenden?" *** Der Wechsel zwischen Belustigung, Agressivitaet und Kommandoton verwirrte den Piloten zunehmend, er war sich alles andere als sicher, was er davon zu halten hatte, und was die beste Art war, darauf zu reagieren. Vielleicht, so sagte er sich, war das ihre spezielle Art, mit der Ungewissheit umzugehen, vielleicht war es auch einfach nur die Folge des Schocks. Sachlich erwiderte er, ohne auf die fordernde Frage einzugehen: "Wir leben noch, weil sich der Planet und sein Mond zwischen uns und der Explosionsstelle befunden haben. Sie haben Recht damit, dass die PYTHON diesen Schutz nicht hatte, aber wenn sie das Schiff im letzten Moment richtig gedreht hat, und die Triebwerke auf Maximum gefahren hat, dann hat das vielleicht doch geholfen - natuerlich nur, wenn es auch nur einen Augenblick der Vorwarnung gegeben hat." Dies brachte den Piloten auf eine Idee, hektisch drehte er sich wieder zum Steuerpult um und bearbeitete die Tastatur, waehrend seine Augen Unmengen von Zahlen ueberflogen, die ueber einen der seitlichen Bildschirme huschten. Schliesslich, nach nur wenigen Sekunden, hatte er gefunden, was er gesucht hatte, und drehte das Scrollrad ganz langsam weiter. "Hier. An der Stelle haben die Sensoren die ersten Strahlungsausbrueche festgestellt, hier haben wir den Kontakt zur PYHTON verloren, das war..." Er rechnete kurz, wiederholte die Rechnung, und fuhr dann unglaeubig fort: "...gerade einmal eine Millisekunde spaeter, und zwei weitere Millisekunden spaeter war dann auch die VIPER weg. Den ersten Systemalarm durch die ansteigende Strahlung gab es erst fuenf Millisekunden spaeter." Waehrend er diese Zahlen mehr oder weniger ablas, rotierten seine Gedanken um die dahinter verborgene Geschichte und die moeglichen Schlussfolgerungen aus dieser. Es gab viele davon, verwirrende und klare. 'Das heisst also...' Er brach diesen Gedanken ab, und fragte unvermittelt: "Was folgern Sie daraus?" Vielleicht half das ja, die Wissenschaftlerin aus diesem verwirrenden Verhalten herauszulocken. *** Jasmine fuhr sich mit dem Handruecken ueber die Augenraender und zog die Beine an. Diese bloede Uniform zwickte mal wieder an den unmoeglichsten Stellen, warum hatte sie sich nur keine Ersatzkleidung auf den Ausflug mitgenommen? Waehrend sie versuchte, gleichzeitig die ueber ihren Bildschirm flitzenden Daten nachzuvollziehen und das durch den nicht gerade hautfreundlichen Stoff ihrer Kleidung ausgeloeste Jucken zu beheben, antwortete sie wie nebenbei in Richtung des ihr in seiner Sachlichkeit unverschaemt vorkommenden Piloten: "Ich folgere genau das, was ich die ganze Zeit schon gefolgert habe, naemlich dass wir uns den Trip zu der PYTHON sparen koennen! Was auch immer diese Explosion ausgeloest hat, es hat niemanden die Zeit zu einer Reaktion gegeben. Fragen Sie meinetwegen den Computer, wie gross die Chance ist, dass die gute Sophia ueberlebt hat, aber ich wuerde sagen, dass ich...wir momentan andere Probleme haben." Sie strich sie die Haare aus der Stirn und liess erneut die Tasten des Eingabemoduls klappern. "Wie Sie schon treffend festgestellt haben, ist der naechste Stuetzpunkt der grossen Vereinigung ein kleines Stueckchen zu weit weg, um erreicht werden zu koennen, was vermutlich bedeutet, dass wir, selbst wenn es Ueberlebende der Aktion gaebe, kaum ueber genuegend Ressourcen verfuegen, um allein uns beiden ein kuscheliges Plaetzchen suchen zu koennen, an dem wir fuenfzig Jahre lang auf unsere Rettung warten duerfen." *** Andrew antwortete erst einmal noch nicht, sondern betrachtete weiter die Daten auf dem Bildschirm, um ihnen ihr Geheimnis zu entreissen, ein Geheimnis, das aller Wahrscheinlichkeit nach wohl nie aufgeklaert werden kann, die Frage, was genau die Katastrophe ausgeloest haben mag. Aktiv-Materie-Reaktoren explodierten nicht einfach so, es gab etliche Systeme, die selbstverstaendlich allesamt hochgradig redundant ausgelegt waren, die genau das verhindern sollten. Aber dennoch - genau das war passiert, denn nichts anderes an Bord des grossen Erkundungsschiffes waere dazu in der Lage, auch nur annaehernd vergleichbare Zerstoerungswirkung zu erzielen. Andrew wandte sich schliesslich ab, diese Zahlen erzaehlten zwar die Folgen der Explosion mit einer fast schon brutalen Genauigkeit, aber was sie verschwiegen, das war das einzig wichtige. Er lehnte sich zurueck, und schloss fuer einen Moment die grauen Augen. Vor nicht einmal zwei Stunden hatte alles so einfach ausgesehen, dieser alberne Erkundungsauftrag, diese Wissenschaftlerin ein paar Stunden lang in der Naehe dieses Mondes herumzufliegen, dann wieder zurueck zur SNAKE, und dann den Weiterflug ins naechste System vorbereiten, Arbeit, wie sie Routine war, aber doch immer wieder neue Herausforderungen bot, Herausforderungen, die mit der Kombination aus Intelligenz und der Macht der Technik loesbar waren. Dies hier jedoch... Der Pilot oeffnete die Augen wieder und kippte den Sitz ein kleines Stueck nach hinten, um etwas mehr Platz fuer seine knapp zwei Meter zu haben - ruckartige Flugmanoever waren nun wohl erst einmal fuer laengere Zeit ausgeschlossen. "Es macht keinen Unterschied", setzte er schliesslich das Gespraech fort, "die ANACONDA wird die Ueberreste der PYTHON bald erreicht haben, und es kostet genausoviel Energie, wenn wir sie jetzt abbremsen, als wenn wir die paar Minuten noch warten und dadurch vielleicht etwas mehr wissen. Aber Sie haben insofern recht, als dass wir unsere Ressourcen in der Tat sehr sparsam einsetzen sollten." Er liess die Blicke dabei wieder ueber das Instrumentenpanel gleiten, dessen zahlreiche Anzeigen und Monitore von der Aktivitaet der Bordsysteme kuendeten, die alles moegliche massen und aufzeichneten, die fuer Bequemlichkeit und Ruhe sorgten, und die in ihrer Gesamtheit bereit waren, benutzt zu werden, und dabei mehr Strom aus den Batterien saugten, als die Generatoren der momentan im Leerlauf arbeitenden Triebwerke erzeugten. "Es muss keine fuenfzig Jahre dauern, es kann deutlich schneller gehen, wenn sie die SNAKE vermissen, und mit der Suche beginnen!" Diese Worte sollten hoffnungsvoll klingen, aber so ganz schafft es der Pilot nicht, den entsprechenden Ton zu treffen. "Einen Funkspruch an die Basis waere dennoch eine Moeglichkeit, aber wir sollten zuerst alles andere abwaegen und bedenken, ehe wir unsere Energie fuer solches benutzen. Wir haben nichts davon, wenn man uns hoert, wir aber keine Moeglichkeit mehr haben, einen, wie Sie sagen, kuschligen Platz zu erreichen, wo auch immer hier ein solcher sein mag!" Waehrend dieser Worte war Andrews Blick weiter auf die Konsole gerichtet, und er loeste bei fast jedem zweiten Wort eine Schaltung aus, die entweder einen der Bildschirme erloeschen liess, oder auf anderen Bildschirmen zumindest von der Abschaltung peripherer Systeme kuendete. *** Jasmine reagierte auf die Betaetigung der Schalter mit einen kurzen Stirnrunzeln, sagte aber nichts dazu. Im Gegensatz zu Andrew war sie nicht dazu bereit, die Ueberlegung ueber die Ursachen als unwichtig abzutun, auch hatte sich kein Problem, ihre zierlichen 1,65 Meter im Sitz unterzubringen. "Die Frage ist", ueberlegte sie laut, waehrend sie die Verschluesse ihrer Stiefel oeffnete, "ob sie die SNAKE vermissen werden. Professor Mills Tiefenraumprojekt war vielen schon lange ein Dorn im Auge. Viele schaetzten es sinnlos und verschwenderisch, manche sogar als gefaehrlich ein und es sind bestimmt nicht wenige, die sich insgeheim wuenschten, die SNAKE wuerde eines Tages auf einer ihrer Erkundungen..." Der erste Stiefel fiel leise klappernd zu Boden, waehrend die vierundzwanzigjaehrige Frau ihre linke Hand erhob, sie zur Faust ballte und diese explosionsartig oeffnete. "Wenn dieser Mills nicht so ein reicher, exzentrischer Kauz gewesen waere, der seine Gelder in einige wichtige militaerische Forschungsprojekte gesteckt hatte, haetten sie uns bestimmt nicht noch einmal losgeschickt." Der zweite Stiefel landete auf dem ersten. "Eigentlich verwunderlich, dass sowas nicht schon frueher passiert ist. Der alte Kerl hat keine Kinder und es gibt Geruechte, dass er die Kohle den Projekten vermachte, die er auch zu Lebzeiten unterstuetzt hatte, aber wer weiss das schon..." Nach den Stiefeln nestelte sie am obesten Knopf ihrer Uniform und oeffnete schliesslich auch diesen. "Und selbst wenn sie uns vermissen wuerden, wuerde es alleine schon fuenfzig Jahre dauern, bis die sich durch den Papierkram gekaempft haben und der Antrag vom Militaerrat genehmigt wird. Glauben Sie mir, ich kenn mich da aus, schliesslich ist mein Vater..." Sie stoppte mitten im unaufhaltsamen Redeschwall und sah den Piloten misstrauisch an: "Was machen Sie da eigentlich?" *** Konzentriert arbeitete Andrew weiter, waehrend er der Geschichte, die er da zu hoeren bekam, mit zunehmender Aufmerksamkeit lauschte. Im Grunde war das nichts Ueberraschendes, denn es gab jede Menge Geruechte, aber aus dieser Perspektive hatte er die Sache noch nie gesehen, oder einfach die Augen vor solchen Ueberlegungen verschlossen, weil ihm die Arbeit auf der SNAKE einfach zu viel Spass machte. So kam es, dass er die in seinen Augen absolut sinnlose Umkleiderei der Wissenschaftlerin nicht weiter beachtete, sondern nur ab und zu nickte, insbesondere dann an der Stelle, als sie ihren Vater erwaehnte. Nur, gerade an dieser Stelle, als es richtig spannend zu werden versprach, denn bei so einer Quelle waren diese Informationen wohl doch etwas mehr wert als die ueblichen Kantinengeruechte, die man in regelmaessigen Abstaenden auf der SNAKE zu hoeren bekam, hoerte sie auf, um etwas absolut Belangloses zu fragen. "Lassen Sie sich nicht stoeren", erwiderte er knapp, "ich drossele nur unseren Energieverbrauch, denn wer weiss, fuer wie lange unsere Ressourcen noch reichen muessen. Da koennen wir uns keine Verschwendung leisten!" Er schaffte es, zwei Drittel der Hauptinnenbeleuchtung genau in dem Moment erloeschen zu lassen, als er das Wort 'Verschwendung' aussprach, und machte dann gleich an der darunter liegenden Konsole mit den Abschaltungen weiter, so dass nun nur noch etwa vierzig Prozent der Systeme in Betrieb waren, mit weiterhin fallender Tendenz. "Aber erzaehlen Sie doch weiter, Sie erwaehnten gerade Ihren Vater?" Klackend legte Andrew weitere Schalter um, und dann verharrte er erst einmal, und sagte trocken, ohne eine Gelegenheit fuer eine Antwort auf die gerade gestellte Frage zu lassen: "Legen Sie den Sicherheitsgurt an!" Diesen Worten folgen sogleich Taten, er stellte die Rueckenlehne wieder eine Spur senkrechter und angelte das lose Ende des fuer den beabsichtigten Zweck vorgesehenen Beckengurts, das er sogleich einrasten liess. *** Mit einem leisen Klicken sicherte Jasmine folgsam ihren Gurt, wobei an dem Funkeln in ihren Augen anzumerken war, dass sie sich eindeutig nicht mit der Sicherheitslage beschaeftigte. Die Senkung des Lichtpegels nahm sie fast sogar als dramaturgische Unterstuetzung ihrer Erzaehlung wahr. 'Lassen Sie sich nicht stoeren, erzaehlen Sie doch weiter', das war Musik in ihre Ohren, Andrew hatte genau ihre Lieblingsmelodie getroffen. "Also mein Vater, Admiral Thomas Levun, ein ziemlich hohes Tier mit enormer politischer Macht, moechte man meinen. Keine Ahnung, ob er ein besonders gute oder besonders schlechter Kommandant war, um auf diesen Posten hochgelobt zu werden..." ,die Frau griff sich an den Kragen der Uniform und weitete diesen, als leide sie unter akuter Luftknappheit. "Auf jeden Fall ging es nun nicht laenger um Abenteuer, um Gefahr, um Forschungen, sondern nur noch um Finanzen und Formalismen. Wenn man soweit gekommen ist, haben die Traeume anderer auf einmal einen zu kalkulierenden Wert und dieser wird in den meisten Faellen mit roter Tinte geschrieben, wenn Sie verstehen, was ich meine." Der heitere Plapperton wurde an dieser Stelle, in der ihre eigene Rolle eingefuehrt wurde, noch ein wenig lockerer. "Deswegen wurde ich auf die SNAKE gefuehrt. Ich bin so eine Art, hm, Effizienzexpertin, die beurteilen sollte, ob das Projekt Tiefraum noch irgend einen praktischen Nutzen fuer die breite Bevoelkerung im allgemeinen und die Fuehrungsspitze im besonderen abwirft. Naja..." nun liess auch endlich sie ihren Sitz in die Vertikale schnellen, "sieht so aus, als ob es auch so der letzte Flug der SNAKE gewesen waere." *** Waehrend er zuhoerte, arbeitete Andrew weiter an der Konsole, und schaltete unnoetige Verbraucher ab, oder zumindest solche, die er in der momentanen Situation nicht fuer lebensnotwendig hielt. Ein kleines Anzeigefeld verkuendete ihm dabei das, was er schon laengst in Form eines leisen Klickens gehoert hatte, dass naemlich nun auch die Wissenschaftlerin angegurtet war, und damit die Grundvoraussetzung fuer die Abschaltung des momentan groessten Energiefressers gegeben war. Ohne weitere Kommentare dazu zu geben, oder gar Jasmines Ausfuehrungen zu unterbrechen, klappte er einen kleinen Sicherungshebel zur Seite, und legte dann den dadurch freigegebenen Hebel um. Ein leichtes, abschwellendes Sirren irgendwo von unten kuendete davon, dass das Gegenschwere-Aggregat herunterlief, zugleich spuerte Andrew auch dieses Gefuehl eines rasch nach unten fahrenden Fahrstuhls, eben den Verlust des eigenen Gewichtes. Lange dauerte das nicht, nach gerade einmal fuenf Sekunden kuendeten weitere Meldungen auf dem Statusmonitor davon, dass Kompensator und kuenstliche Schwerkraft abgeschaltet waren, etwas, das ebenso gut auch zu spueren war: Die beiden Menschen und alles andere, was sich in der Kabine befand, war schwerelos. Fuer Andrew war das hundertfach durchgefuehrte Routine, er achtete auf diese Nebenwirkungen gar nicht weiter, sondern fuhr erst bei den letzten Worten Jasmines zu dieser herum: "Wie? Ich dachte, sie sind Geologin oder etwas in der Art!" *** Mit dem leisen Surren fuehlte Jasmine den Inhalt ihres Magens, der hauptsaechlich aus einem kaerglichen Fruehstueck bestand, das sie vor einer Ewigkeit rasch im Stehen eingenommen hatte, nach oben steigen. Sie hasste Schwerelosigkeit, oder, genauer gesagt, den Uebergang zu ihr. Nicht, dass sie etwas dagegen hatte, Gewicht zu verlieren, so ein paar kleine Kilos, aber das erschien ihr doch etwas radikal. Dennoch hielt sie dazu den Mund dazu, denn einmal hatte Andrew bei ihr noch den Musiker-Status und andererseits gab es hier ohnehin niemanden, bei dem sie sich ueber ihn haette beschweren koennen. Zudem troestete sie der erstaunte Tonfall in der Stimme des Piloten sie ein wenig darueber hinweg. "Ja und nein", antwortete sie vielsagend, "ich habe ein Jahr lang einen allgemeinen Wissenschaftseinfuehrungskurs an der Militaerakademie besucht, der Geologie und Biologie und den ganzen Kram beinhaltete, aber danach habe ich das Studium abgebrochen. War mir zu trocken und langweilig. Das hier allerdings", sie machte ein paar Armbewegungen, um das seltsam taube Gefuehl in ihren Gliedmassen zu vertreiben, "habe ich nur gemacht, weil die eingeplante Wissenschaftlerin sich bei einer Uebung den Arm gebrochen hatte und ich jemandem... aehm einen Gefallen schuldete. Wie lange dauert es eigentlich noch, bis wie die PYTHON erreicht haben? Ich bekomme langsam Hunger." *** 'Ein Jahr einen allgemeinen Wissenschaftseinfuehrungskurs...' Diese Worte hallten in Andrews Kopf noch eine Weile nach, waehrend er die ganzen kleinen Bausteine, die ihm hier aufgetischt wurden, zusammenzupacken versuchte. Da war einerseits dieses Geruecht, das diese Frau anscheinend aus verlaesslicheren Quellen kannte als er es zuvor jemals gehoert hatte, und dann war dies, dass sie bei einer solchen Erkundung mitflog, um jemanden einen Gefallen zu tun, und das, ohne dafuer wirklich qualifiziert zu sein - vermutlich wuerde er ihr bei dem, um das es bei dieser Expedition gehen sollte, sogar etwas vormachen koennen. Zusammen ergab es dann aber doch einen Sinn, es bestaetigte naemlich das sehr negative Bild ueber die Tiefraumforschung, das ihre Worte gezeichnet hatten. Und das wiederum... Mit einem Kopfschuetteln verdraengte Andrew diese Gedanken, denn egal wie gut oder schlecht es um die Tiefraumforschung bestellt war, die Bedeutung dessen war seit der sehr wahrscheinlichen Explosion der SNAKE zumindest fuer sie beide hier um etliche Groessenordnungen gesunken. "Hunger?" griff er entgeistert die letzte Bemerkung auf, "das ist nicht Ihr Ernst! Wir sind doch noch gar nicht lange unterwegs, und ausserdem duerfte sich hier kaum mehr als eine karge Notverpflegung an Bord befinden - darum muessen wir uns auch noch kuemmern." Dieses Problem war allerdings ein echtes, ein sehr echtes und vermutlich bald sehr draengendes. Der kleine Erkunder war fuer Missionen im freien Raum oder auf atmosphaerenlosen Planeten mit geringer Schwerkraft gebaut, die selten mehr als zwoelf Stunden dauerten, und entsprechend waren die Ladekapazitaeten fuer Vorraete und dergleichen mehr berechnet - als Notreserve naemlich, nicht als Vorraete fuer laengere Zeit, und bei dieser Notreserve war nicht einmal der Umfang festgelegt oder genormt, es konnte eine Dose Trockenfleisch sein, vielleicht auch eine ganze Kiste mit Lebensmitteln, oder einfach auch gar nichts. Andrew spuerte, dass das, was hier geschehen war, immer neue Aspekte aufwarf, je laenger sie sich damit beschaeftigten, und je tiefer sie in dieses ihnen aufgezwungene Schicksal eintauchten. Und diese neuen Aspekte halfen zugleich, die alten Probleme ploetzlich zu verdraengen - war es vor kurzem noch eine furchterregende Entdeckung, dass die Energie der ANACONDA bei normalem Betrieb der Bordsysteme nur knapp achtzig Stunden reichen wuerde, so verlor das vor dem Hintergrund, dass die Nahrungsvorraete vielleicht deutlich kleiner waren, so ziemlich an Bedeutung. "Darum muessen wir uns wirklich kuemmern", wiederholte er, "aber zuerst muessen wir nach der PYTHON schauen, ehe wir sie ueberholen, und dann muessen wir dafuer sorgen, dass die ANACONDA nicht weiter in die Tiefen des Raumes abdriftet." Insbesondere in der Schwerelosigkeit, mit auf Leerlauf gedrosselten Triebwerken, konnte man schnell vergessen, dass sich das kleine Raumschiff ungeachtet der relativen Stille dennoch mit recht hoher Geschwindigkeit von der Explosionsstelle entfernte, und dass dieses Entfernen in Richtung des tiefen Raumes, weg vom Zentralgestirn dieses Systems, fuehrte. Andrew griff, zum ersten Mal nach der kurzen Beschleunigung, die zu diesem Kurs gefuehrt hatte, nach dem Multifunktionssteuer, und drehte es ganz vorsichtig ein wenig. Mit einem leichten Heulen setzten die Hilfstriebwerke ein und drehten die ANACONDA im Raum ein wenig, so dass sie nun mit dem Heck voran flog und die Muendungen der Haupttriebwerke genau in Flugrichtung zeigten. Er haette das Schiff zwar auch mit den Korrekturtriebwerken abbremsen koennen, aber die grossen Maschinen konnten das deutlich energieeffizienter und hatten den zusaetzlichen Vorteil, dass ihr Andruck so gerichtet war, dass die Beschleunigungskraefte gut von den beiden Sitzen aufgenommen werden konnten. Doch vorerst blieben die Triebwerke inaktiv, der Pilot beschraenkte sich auf die Lagekorrektur und stellte danach die Kameras per Hand nach, da die automatische Korrektur seinen Einsparmassnahmen zum Opfer gefallen war. "Sehen Sie, wir haben die PYTHON gleich eingeholt. Ich werde gleich die Triebwerke hochfahren, dann werden wir sie uns in Ruhe anschauen koennen." Er rueckte dabei in seinem Sessel etwas zurecht und stellte die Lehne zugleich noch ein Stueck senkrechter, unterliess es aber, diesen Vorgang zu kommentieren. *** "Was soll das heissen, wir sind noch nicht lange unterwegs? Wissen Sie, wann ich das letzte Mal was Richtiges zwischen den Zaehnen hatte? Ich halte seit ueber einer Woche strenge Diaet, um auch nur ansatzweise in diese unmoeglichen Uniformen zu passen, die sie immer eine Groesse zu klein ausgeben!" Ihr Worte wollten nicht wirklich zu dem doch recht hageren Koerperbau und dem spitzen Gesicht passen, zur Bestaetigung zupfte sie noch einmal demonstrierend an der tatsaechlich enganliegenden Kleidung herum. "Und was meinen Sie mit Ruhe? Ich will keine Sekunde laenger in diesem Kasten sein als notwendig. Haben Sie eigentlich schon bemerkt, wie eng es hier drin ist? Nicht, dass ich grundsaetzlich an Platzangst leiden wuerde..." Mit hektschen Bewegungen hackte sie auf das Terminal ein, worauf einer der wenigen noch erleuchteten Monitore eine Liste an Gegenstaenden anzeigte. "Unglaublich! Dieses Ding besitzt noch nicht einmal einen Nahrungsgenerator! Wie konnten die eigentlich durch die Kontrollen kommen? Und die Trinkwasservorraete sind ja wohl mehr als laecherlich! Wollen die uns austrocknen?" *** Andrew warf bei den Bemerkungen zum Essen lediglich einen kurzen Blick in Jasmines Richtung und verzog dabei das Gesicht zu einem leicht spoettisch wirkenden Laecheln, verkniff sich jedoch erst einmal jeglichen Kommentar dazu. Statt dessen richtete sich sein Blick starr auf den Monitor des Heckradars, und seine Haende umfassten Steuer und Triebwerksregler. Da er einen Teil der Bordelektronik aus Gruenden der Sparsamkeit gerade deaktiviert hatte, musste er entsprechend mehr manuell machen, und das erforderte erst einmal ziemlich viel Aufmerksamkeit. "Jetzt!" sagte er schliesslich, leise, und wohl eher an sich selbst gerichtet, als der Wissenschaftlerin geltend. Seine Linke schob dabei die beiden Regler der Triebwerke ein ordentliches Stueck nach vorne, waehrend er mit der anderen Hand am Multifunktionssteuer mit ganz behutsamen Bewegungen die Fluglage ausglich. Unter den beiden Menschen liefen die Triebwerke mit dem schon bekannten dumpfen Geraeusch hoch, das sich bis in ein helles Heulen steigerte, waehrend eine zunehmende Kraft die Raumfahrer in die Sitze presste. Das helle Heulen und der Andruck von etwas mehr als doppelter Erdbeschleunigung blieb fuer vielleicht zwanzig Sekunden erhalten, dann zeigte das Radar, dass sich die ANACONDA nunmehr nur noch mit einer verschwindend kleinen relativen Restgeschwindigkeit den Ueberresten der PYTHON naeherte. Einen ganz kleinen Moment wartete der Pilot noch, dann drosselte er die Triebwerke, so dass ziemlich schlagartig die Schwerelosigkeit und die Ruhe zurueckkehrten. "So, da sind wir!" Er drueckte zwei Hebel in das Pult, woraufhin die Triebwerke, die inzwischen wieder den Leerlauf erreicht hatten, dumpf ausliefen und sich schliesslich abschalteten - so bald gedachte Andrew sie nicht wieder zu gebrauchen, so dass das wohl der energiesparsamste Umgang war. Eine leichte Drehung am Steuer liess statt dessen einige der Hilfs- und Manoevriertriebwerke anlaufen, so dass die ANACONDA sich langsam um die eigene Achse drehte, bis sie mit dem Bug auf die langsam naeher kommenden Ueberreste der PYTHON zeigte. Waehrend er die Fluglage weiter leicht nachregelte, sagte Andrew: "Halten Sie mir das nicht vor, dieses Ding ist ein Erkunder fuer Missionen, die unter einem Tag dauern, und bei denen man sich nicht weiter als ein paar Flugstunden vom Mutterschiff entfernt. Es ist nicht fuer Notlagen entwickelt! Und, wie ich schon sagte: Lassen Sie uns die PYTHON anschauen, und dann sehen wir weiter, was wir in unserer Lage und mit den Mitteln, die wir haben, machen koennen!" Diese Worte waren ein wenig heftig ausgesprochen, aber in Andrews Augen machte es keinen Sinn, in einer an sich ausweglosen Lage nur immer wieder zu betonen, wie ausweglos sie eigentlich war, und was andere falsch gemacht hatten oder falsch gemacht haben koennten. Die noch aktiven Bildschirme - und allmaehlich auch die Direktsichtfenster zwischen ihnen - zeigten indes bildfuellend eine zusammengeschmolzene Masse, die von den Abmessungen vielleicht einem Erkunder von der Bauart der ANACONDA entsprechen koennte, aber aeusserlich nichts besass, das auf eine menschliche Herkunft hinwies. *** Mit einem gereizten Fauchen griff Jasmine an ihre Schulter, die durch den ploetzlichen, unvorbereiteten Druck ein wenig verrenkt worden war. Was hatte dieser Mann sich eigentlich so? An einem solchen Tag hatte sie doch wohl das Recht, sich zu beschweren und bisher hatte er ja noch nicht sonderlich viel getan, um die allgemeine Lage zu verbessern. Immer mehr kam die Frau, die nach Atem rang, zu dem Urteil, dass diejenigen, die an Bord der SNAKE, der PYTHON und der VIPER einen, und davon war sie ueberzeugt, ueberraschend schnellen und vermutlich auch recht schmerzlosen Tod gestorben waren, das bessere Los gezogen hatten. Was sollte sie denn hier, ueber fuenfzig Jahre von Zuhause entfernt, ohne ausreichende Grundversorgung und einem herzlosen Ekel als einzigem Ansprechpartner? Allzu rosig sah da die Zukunft da wirklich nicht aus. Entsprechend steigerte sich Jasmines Aerger, was zur Folge hatte, dass sich gleichzeitig ihre Faehigkeit zur objektiven Betrachtung immer mehr verminderte. "Und? Was sehen wir da?" *** Die patzige Antwort liess Andrew erst einmal verstummen, er verzichtete darauf, das Gespraech ueber die Notlage wieder aufzunehmen, sondern beschraenkte sich darauf, die ANACONDA mit den Hilfssystemen in eine stabile Lage in unmittelbarer Naehe der PYTHON zu bringen, die gross und unbeweglich auf den Bildschirmen und durch die Fenster sichtbar war. Diese Unbeweglichkeit war jedoch eine Taeuschung, der sich der Pilot durchaus bewusst war, denn dei PYTHON und mit ihr die ANACONDA drifteten nach wie vor mit einer nicht zu vernachlaessigenden Geschwindigkeit in Richtung Tiefraum, weg von dem Zentralgestirn dieses Systems, und auch weg von der Ungluecksstelle. Nachdem die Lage zur seiner Zufriedenheit stabilisiert war, schaltete er die entsprechenden Steuerungssysteme ab, damit diese nicht mit eigentlich unnoetigen Mikrokorrekturen wertvolle Energie verschwendeten, und aktivierte einige Messgeraete, die sich dank des gut ausgerichteten Erkunders ohne grosse Muehe von selbst auf die Reste der PYTHON richteten. "Keine Ueberlebenden, Totalausfall aller Bordsysteme, Extremverformung der Huelle durch Ueberhitzung, vollstaendiger Verlust saemtlicher Aktiv-Materie." Er las diese Werte von den Anzeigen ab, ohne auch nur eine Spur Emotion in die Stimme zu legen, in einem Tonfall, der gut zu der Sprachausgabe des Bordcomputersystems der SNAKE gepasst haette. Doch die Emotionen waren durchaus vorhanden, er hatte sie nur noch nicht weit genug unter Kontrolle, um anders als so reagieren zu koennen. Einige Tastendruecke spaeter ergaenzte er: "Es hat fuer sie genau fuenf Mikrosekunden gedauert..." Seine Stimme wurde dabei immer leiser, so dass man das letzte Wort kaum noch hoeren konnte. *** Jasmine seufzte leise auf. Die Wiederholung bereits bekannter Tatsachen fuehrte sie auch nicht weiter, ebenfalls war ihr nicht nach emotionalen Aeusserungen zu mute, wenn sie nichts mit Selbstmitleid zu tun hatten. So wechselte ihr Blick mitleidslos von dem ihr kaum bekannten Schiff zu ihrem noch weniger bekannten Nebensitzer. "Haben Sie irgendetwas gefunden, das wir verwerten koennen? Wasser? Energie?" *** "Bitte?" Andrew fragte sofort nach, ohne ueber die in seinen Augen ungeheuerliche Frage auch nur nachzudenken. Er redete vom Tod von Menschen, die er gekannt hat, von einer Tragoedie, und was kam da? Eine schlichte Frage nach der Auspluenderung des Wracks nach verwendbaren Dingen! So blieb er erst einmal einige Sekunden still sitzen, ohne die Steuerung oder die Sensorbedienung anzuruehren, und versucht, zu ergruenden, was diese Frau dazu brachte, so schnell an sich selbst zu denken, waehrend vor ihnen die traurigen Ueberreste der anderen hilflos im All trieben. Schliesslich schob er es auf die Schocksituation, und antwortete dann lauter, als er zuvor gesprochen hatte, und ohne irgendeine Schaltung vorzunehmen: "Sicherlich nicht. Ich sagte gerade, dass sie alle Aktiv-Materie verloren haben, und dass eine enorme Hitze alles zerstoert hat. Nichts organisches kann das aushalten, und Wasser wuerde schon bei einem Bruchteil der Hitze verdampfen." Seine Stimme wurde haerter waehrend dieser Worte, und er legte den in seinen Augen durchaus berechtigten Vorwurf ob der gestellten Frage in den Tonfall. *** "Dann verschwenden wir hier nur unsere kostbare Zeit", bemerkte Jamine trocken und beobachtete, wie ihre glatten, braunen Haare schwerelos um ihr Gesicht herumschwebten. Den harten Tonfall seiner Stimme schien sie ebensowenig wahrzunehmen, wie die vorwurfsvollen Blicke. Es war schwer zu sagen, ob sie tatsaechlich so wenig fuehlte, wie man es dem Anblick nach vermuten koennte. Denn trotz der Vermutung des Piloten war es nicht der Schock, der sie daran hinderte, zu weinen, zu schreien oder sonst in irgend einer Form ihre Trauer und Angst zu aessern, es war etwas, eine Unfaehigkeit, die schon seit langer Zeit, seit ihrer Kindheit in der Tiefe ihres Inneren verwurzelt war. Also blieben ihre Augen trocken und ihre Stimme ruhig, beinahe gelangweilt, als sie mit einem Schulternzucken fortfuhr: "Es ist Ihnen ueberlassen, ob wir noch die anderen Einheiten besuchen, die, meiner Meinung nach, ebensowenig eine Ueberlebenschance hatten wie diese hier oder ob wir der Tatsache, dass sie uns hier alleine gelassen haben, ins Auge sehen und endlich Schritte zu unserer eigenen Rettung einleiten." *** "Niemand hat uns alleine gelassen!" stellte der Pilot richtig, "sie sind ums Leben gekommen, waehrend ein Zufall dafuer gesorgt hat, dass wir dieses Schicksal nicht auch geteilt haben!" Er fuegte keinen der weiteren Gedanken zu diesem Thema hinzu, und unterliess - vorerst - auch die Bemerkung, dass auch das eigene Ueberleben alles andere als sicher war, da rings herum Gefahren drohen mochten, die sie weder kannten, noch gegen die die Systeme der ANACONDA auch nur eine Spur einer Chance haetten. "Falls es Sie beruhigt, wir koennen die anderen Schiffe gar nicht besuchen, denn dazu muessten wir erst einmal Ueberreste lokalisieren, was mir bis jetzt noch nicht gelungen ist. Ich habe das auch nicht vor, dies hier genuegt, um die Wirkung des Ungluecks zu zeigen." Er machte eine kurze Pause, und wechselte dann vom eher belehrenden Tonfall in den ganz normalen Tonfall, den er normalerweise benutzte, wenn es um die Besprechung von Fluegen oder dergleichen ging. "Es ist nicht so einfach, Schritte zu unserer Rettung in die Wege zu leiten. Deshalb habe ich eben auch die Triebwerke heruntergefahren, denn ich glaube nicht, dass wir so bald eine brauchbare Idee haben, wie wir das mit der Rettung bewerkstelligen koennen." Er zeigte dabei auf die wenigen noch aktiven Bildschirme, die Navigationsdaten oder Bilder des havarierten Erkunders da draussen zeigten, und fuhr dann fort: "Wir koennen natuerlich noch ein wenig wild umherfliegen, dann loest sich das Problem von alleine, denn dann sind die Energien der ANACONDA noch lange vor den Ressourcen unserer Lebenserhaltungssysteme aufgebraucht. Wir haben nicht viel mehr als eine Chance, mit viel Glueck vielleicht eineinhalb bis zwei Chancen, etwas zu versuchen, und darum muss es wirklich gut bedacht sein. Vorschlaege?" Die Frage klang schon fast geschaeftsmaessig professionell, und verriet nichts mehr von dem noch vor kurzem sehr ausgepraegten Aerger ueber das Verhalten der Wissenschaftlerin. *** Auch Jasmine versuchte, zu einer neutralen Sicht der Dinge zurueckzukehren, schliesslich konnte sie den Kerl ja immer noch ankeifen, wenn sie sich an einem sicheren Ort befanden. "Also ich denke, die naechsten Schritte sollten folgendes beinhalten:", sie hob die Hand und zaehlte an den Fingern ab, "Wir muessen eine Nachricht an die, die uns suchen hinterlassen, dass wir noch am Leben sind, dann muessen wir abschaetzen, wie weit wir mit den verbleibenden Ressourcen kommen und den bestmoeglich zu erreichenden Planeten finden und ansteuern." Ihr Zeigefinger blieb ueber dem kleinen Finger der anderen Hand schweben. "Faellt Ihnen sonst noch etwas ein?" *** Andrew nickte, und schuettelte sofort danach den Kopf. "Im Grunde nicht schlecht, aber die Reihenfolge gefaellt mir nicht. Wenn wir eine Nachricht hinterlassen, so sollte sie zumindest beinhalten, was wir tun wollen und wohin wir fliegen, und das koennen wir nur aufschreiben, wenn wir es uns ueberlegt haben. Was die Botschaft selbst angeht..." ...er beugte sich vor, und liess die Finger kurz ueber die Tasten fliegen... "...so haben wir zwei kleine Astro-Markierungsbojen mit einem Funkfeuer, das bei sparsamer Einstellung wohl einige Jahre halten sollte. Die koennten wir benutzen, um eine solche Botschaft zu hinterlassen, das finde ich weit sinnvoller, als wenn wir all unsere Energie benutzen, um einen Funkspruch ins Nirgendwo zu senden. Die Dinger sollte jeder finden koennen, der halbwegs intakte Sensoren hat, und der durch dieses System fliegt." Wieder hielt der Pilot inne, und dachte kurz nach. "Unsere Ressourcen sind meiner Meinung nach Punkt zwei auf der Liste, gleich nach der Festlegung unseres Zieles, denn sie legen fest, wie wir das Ziel erreichen koennen, und welche Umwege wir fuer das Aussetzen der Bojen in Kauf nehmen koennen. Und Punkt drei waere dann die Botschaft. Sind Sie damit soweit einverstanden?" Er sah ganz kurz in die Richtung der Wissenschaftlerin, um sich dann sogleich wieder den wenigen noch aktiven Monitoren und dem, was der Computer an Daten noch von der SNAKE besass, widmete. *** Auch Jasmine liess einen zustimmenden Laut vernehmen, waehrend sie die Daten abglich. "Meinetwegen", murmelte sie und legte die Stirn in Falten, "okay, filtern wir Gasriesen und ohnehin unbewohnbare Planeten aus. Die Athmosphaere sollte moeglich nicht toxisch und die Luft atembar sein, sonst koennen wir gleich hierbleiben. Bei der Gravitation sollten wir ebenfalls etwas waehlerischer sein, bei den durchschnittlichen Temperaturen ebenfalls ... hm... Wasser waere auch nett und das ganze nicht allzu weit vom gegenwaertigen Standpunkt entfernt..." Waehrend sie unzusammenhaengend vor sich hinmurmelte, verringerte sich die Liste, die sie vor sich abgebildet hatte und aus nicht gerade vielen Posten bestand, zusehens. Der jungen Frau fiel auf, dass es eigentlich Zeit waere, den Nagellack mal wieder aufzufrischen, verzichtete aber auf eine entsprechende Bemerkung. "Na also, das sieht doch alles gar nicht so trostlos aus, wie gefaellt Ihnen der Kleine? Klingt fast so wie etwas, auf dem man Urlaub machen moechte: Planet ST/679G-M15V3" *** Andrew antwortete nicht sofort, da er mit einer ganz aehnlichen Auswahl beschaeftigt war, genau genommen wohl sogar mit exakt der gleichen, denn bei den zur Verfuegung stehenden Daten machte der Rechner zwischen dem Wissenschaftsplatz und dem Pilotenpult natuerlich keinerlei Unterschied. "Angesichts der Tatsache, dass dieses System nur acht Planeten hat, die zur Auswahl stehen, wohl die einzige Alternative, wenn es denn ein Planet sein soll, wofuer angesichts unserer Energiesituation wohl einiges spricht. Schauen wir mal..." Er scrollte die Liste noch einmal kurz zurueck. "Auf der eins waeren wir innerhalb von wenigen Augenblicken gebraten, die zwei waere zumindest mir auch deutlich zu heiss, dann kommt Ihre drei mit halbwegs annehmbaren Werten, dann vier, die wohl etwas zu hohe Gravitation hat und zudem auch etwas zu kalt ist, fuenf ist ein Gasriese, sechs liegt da vorne und wurde von der SNAKE ordentlich verstrahlt, und sieben und acht kommen schon wegen der Temperatur nicht in Frage. Bleibt also in der Tat die drei." Er schaltete kurz, dann erschien ein neblig aussehender Ball auf einem der Monitore, wohl eine Archivaufnahme des fraglichen Planeten. "Also... Abstand zum Zentralgestirn 0.76 AE, Durchmesser 9500 Kilometer, Gravitation etwa 8 m/s^2. Er hat eine Atmosphaere, und biologisches Leben ist auch vorhanden. Mehr wissen wir darueber nicht... der Planet stand ja fuer morgen auf dem Erkundungsplan der SNAKE. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass wir die Atmosphaere ohne groessere Schaeden atmen koennen, liegt nach den Daten der Fernerkundung der SNAKE bei etwa 75%. Koennte es also in der Tat sein... aber..." Andrew schaltete erneut, und der Ball schrumpfte extrem in sich zusammen, machte Platz fuer weitere Objekte, die, wie man leicht erkennen konnte, das ganze System darstellten, und in dem nach einigen weiteren Tastendruecken eine gelbe Linie erschien, die in einem eleganten Bogen ueber fast die gesamte Breite des Bildes ging, wobei ihr Ausgangspunkt unweit des sechsten Planeten lag, und sie am dritten endete. *** "Aber?" erwiderte Jasmine und zog ihre Augenbrauen fragend nach oben, "Der Planet ist doch optimal, besser als alles, was wir erwarten konnten. Welches 'aber' kann es da noch geben?" *** "Den Weg dorthin", erwiderte Andrew, ohne vom Pult aufzusehen. "Es sind siebenundzwanzig AE, die uns von unserem Ziel trennen, das sind immerhin an die vier Lichtstunden. Wenn wir dort lebend ankommen wollen, muessen wir die ANACONDA ziemlich stark beschleunigen, sonst dauert der Flug zu lange. Und da bin ich mir nicht ganz sicher, ob unsere Reserven das mitmachen." Rein theoretisch war der kleine Erkunder in der Lage, jeden beliebigen Punkt im Weltall zu erreichen, denn der Treibstoffverbrauch hing nur von der Geschwindigkeit, nicht von der Entfernung ab, aber die Zeit, die er dafuer benoetigen wuerde, wuerde weit ueber die Lebensspanne von Menschen hinausgehen. Andrew wusste dies natuerlich, darum widmete er sich kurz dem, was er noch vor wenigen Augenblicken als zweite Aufgabe deklariert hatte. "Wenn wir vom Normalverbrauch ausgehen, also dem, was eine zweikoepfige Mannschaft ohne jede Einschraenkung verbrauchen wuerde, dann wuerde die Luft etwa eine Woche reichen, das Wasser vielleicht vier Tage, und die Lebensmittel drei Tage. Alles jeweils unter Beruecksichtigung der Notvorraete." Er sagte nicht hinzu, dass vollkommen klar war, dass die Luft am grosszuegigsten bemessen war, denn jeder, der Raumschiffe ausstattete, wusste, dass sie das einzige war, das man nur sehr begrenzt sparen konnte. Man konnte hungern oder dursten, aber man konnte schlecht deutlich weniger atmen. "Von daher haben wir also eine Woche, wenn wir uns koerperlich nicht zu sehr anstrengen, sonst entsprechend weniger. Damit bleibt also eine sehr einfache Rechnung." Er liess die Finger ueber die Tasten fliegen, und fuehrte eine ueberaus simple Rechnung aus: Geschwindigkeit ist Weg durch Zeit, und dazu noch einige Umrechnungen. "Also, 243 Lichtminuten in einer Woche, das sind...", sprach er mit, waehrend er rechnete, "10080 Minuten, also muessen wir eine Lichtminute in 41,irgendwas Minuten zuruecklegen, die ANACONDA also auf 2.4% der Lichtgeschwindigkeit beschleunigen." Er lehnte sich zurueck, und sah die Wissenschaftlerin an, waehrend er im Kopf weiterrechnete: "Bei einer Beschleunigung von 10 m/s^2 wuerde man etwas mehr als einen Tag benoetigen, um auf diese Geschwindigkeit zu kommen, wir muessen also etwas schneller werden, um die dadurch verlorene Zeit wieder auszugleichen, oder eben haerter beschleunigen, wodurch wir aber Energie fuer die Beschleunigungskompensation benoetigen wuerden, die wir..." Noch einmal wandte er sich dem Pult zu, um die Energie zu kalkulieren. "...nicht wirklich haben. Bei dieser Flugplanung reichen unsere Aktivmaterie gerade, um die ANACONDA am Ziel halbwegs herunterzubremsen, viel Reserven bleiben da nicht. Damit entfaellt also alles, wofuer wir die kuenstliche Gravitation brauchen, wir koennten vielleicht auf 15 oder 20 m/s^2 gehen, aber das waere nicht wirklich angenehm fuer die Dauer von mehr als einem halben Tag, zumal wir in jedem Fall zwischen Beschleunigen und Abbremsen noch fuenf bis sechs Tage Schwerelosigkeit haben werden." Nach diesem etwas laengeren Monolog drehte der Pilot sich wieder zu Jasmine um. "Was halten Sie von dieser Idee? Gegenvorschlaege? Alternativen? Habe ich etwas uebersehen?" *** "Hm, was?" Jasmine, die waehrend der mathematischen Ausfuehrung ein wenig in Tagtraeumereien verfallen war, versuchte, nicht allzu sehr aufzuschrecken, "Idee? Aehm, also, das klingt doch ganz gut, oder? Wir werden uns eben ein wenig einschraenken muessen, ich hatte ohnehin vor, demnaechst meine Diaet wieder aufzunehmen..." Sie kratzte sich verlegen hinter dem Ohr, waehrend sie dem Blick des Piloten erroetend auswich:"Ich habe da vollstes Vertrauen in Sie, dass Sie wissen, was Sie da tun... das tun Sie doch, oder?" *** Der Pilot verzog das Gesicht zweimal, einmal an der Stelle mit dem Abnehmen, und ein weiteres Mal bei der abschliessenden Frage. "Das", antwortete er, "wird wohl einzig die Zeit erweisen. Ich sehe das aber als unsere einzige Moeglichkeit, diesen Planeten zu erreichen, auch wenn diese Moeglichkeit auf recht schwachen Fuessen steht. Denn: Was tun wir, wenn die Atmosphaere nicht fuer uns atembar ist? 75% ist eine recht hohe Wahrscheinlichkeit, aber sie laesst immerhin noch 25%, dass wir dort nicht atmen koennen. Und die Energiesituation, so fuerchte ich, wird dann so aussehen, dass wir mit den verbleibenden Reserven nicht wieder starten koennen, sondern auf sehr lange in dieser kleinen Kiste leben muessen, solange, wie die Aufbereitungssysteme die Atmosphaere des Planeten in fuer uns atembare Luft umwandeln koennen, denn fuer einen Dauerbetrieb dieser Art sind sie nicht ausgelegt. Es ist also ein ziemliches Risiko..." Er stellte die in diesen Worten mitschwingende Frage nicht, sondern sah die Wissenschaftlerin lediglich fragend an. *** Die Frau, die nicht wirklich eine Wissenschaftlerin war, zuckte betont emotionslos mit den Schultern, wobei sie noch immer an dem Piloten vorbeizusehen schien. "Unterbrechen Sie mich, wenn ich mich irre, aber ist es nicht so, dass es keine Wahl zwischen verschiedenen Moeglichkeiten gibt? Und wenn es nichts gibt, zwischen dem ich waehlen kann, dann interessiert mich das Risiko der letztlich verbleibenden Moeglichkeit kaum." Sie drehte sich wieder zu den Daten des Planetens um, als sei sie bestrebt, sich so schnell wie moeglich mit ihnen anzufreunden. *** Dieses Mal dauerte es eine Weile, bis Andrew antwortete, er liess sich die Sache genau durch den Kopf gehen und starrte lange auf die Instrumente, als ob diese in der Lage waeren, eine Antwort auf die ungestellte Frage zu geben. Im Grunde, so dachte er sich, hatte die Frau in der Tat recht, denn es gab in der Tat keine Alternative. Wirklich nicht? Andrew zwang sich, die Sache so logisch wie nur moeglich zu durchdenken, eine Methode, die er von dem alten Lehrer der Pilotenschule uebernommen hatte, auch wenn er sie sicher laengst nicht so perfekt beherrschte wie dieser. Nur, auch die Logik zeigte keine anderen Alternativen auf, sondern bestaetigte, dass es nichts anderes gab: Man konnte landen, oder es sein lassen. Im letzteren Fall war man tot, sobald der Sauerstoff zu Ende war, im ersten Fall brauchte man einen Planeten mit Sauerstoff, und da gab es nur einen, der in Frage kam. Und eine dritte Moeglichkeit bestand in einem anderen Schiff, doch ein solches war nicht in der Naehe, und wuerde es sicher auch so bald nicht sein, denn es wuerde lange, sehr lange, dauern, bis jemand die SNAKE vermissen wuerde. "Also gut", sagte er, "dann machen wir das so. Damit waeren unsere ersten beiden Probleme..." ...er zoegerte, weil er das Wort 'geloest' nicht aussprechen wollte, denn es erschien ihm nicht wirklich wie eine Loesung... "...beantwortet, bleibt die Botschaft. Wir haben zwei Bojen, ich schlage vor, dass wir eine hier in eine stationaere Bahn bringen, und die zweite dann in eine Bahn um den Planeten, auf dem wir landen wollen. Bleibt noch, was wir schreiben wollen." Er lehnte sich zurueck, als beabsichtige er nicht, damit sofort zu beginnen. *** Jasmine seufzte leise vor sich hin. Sie hatte schon befuerchtet, dass er diese Frage stellen wuerde, doch das Problem war, dass sie das Erstellen von Botschaften jeglicher Art leidenschaftlich hasste. 'Hallo Finder unserer Nachricht! Wie geht es Dir? Uns geht es im Moment nicht so gut, wie es eigentlich sollte. Das Wetter ist kalt, der Raum ist eng und ungemuetlich und eine Besserung ist nicht in Sicht. Trotzem liebe Gruesse! Jasmine und der namenlose Pilot. P.S. HILFE!' waere wohl nicht das, was dieser Kerl von ihr erwartete... "Wir koennten die interessanten Stellen des Bordbuches uebertragen, sowie die Koordinaten unseres Ziels", schlug sie matt vor und kam sich dabei ein wenig unkreativ vor. *** "Das ist gar nicht so schlecht", erwiderte Andrew, "und dazu noch einen kurzen Bericht. Das koennen wir dann ja vorbereiten, waehrend das Schiff beschleunigt, denn wir entfernen uns ja in jeder Minute ein gutes Stueck vom Ungluecksort, und sollten darum bald anfangen." Er zoegerte nicht, diesen Worten Taten folgen zu lassen: Der Pilot schaltete eifrig am Steuerpult herum, und einige Bildschirme, die er abgeschaltet hatte, erwachten wieder zu neuem Leben. Auch an der Triebwerkssteuerung hantierte er herum, um letztlich jedoch noch einmal innezuhalten. "Wenn Sie noch etwas zu erledigen haben, bei dem Sie sich normal in der Kabine bewegen muessen, dann tun Sie das jetzt in der Schwerelosigkeit! Wir werden etwa einen Tag lang mit 12 m/s^2 beschleunigen, und das ohne die Schwerkraftkompensation." Fuer Andrew sagte dieser Satz genug, ebenso, wie er es fuer jeden anderen Piloten tun wuerde, doch da er sich an Jasmines gar nicht so lange zurueckliegende Bemerkung bezueglich ihrer Qualifikation erinnerte, fuegte er hinzu: "Das ist etwa die 1.2-fache Erdbeschleunigung, also nicht wirklich stark, aber ohne die Gegenschwere wird hinten unten sein, wir koennen uns also nicht normal in der Kabine bewegen! Oder hoechstens artistisch herumturnen, um bestimmte Bereiche zu erreichen." Andrew selbst hatte nicht viel vorzubereiten, er verstellte den Sitz lediglich so, dass er relativ zum "Boden" nun fast senkrecht hinter dem Pult stand, was die maximale Einstellung in dieser Richtung war, und bei der Beschleunigung eher einem Liegen unter den dann ueber ihm haengenden Pult entsprechen duerfte. *** 'Auch das noch' Hektisch fummelte Jasmine an ihrer Kleidung herum und zog sich die Stiefel wieder an. Sie hatte das Gefuehl, hunderte von Dingen tun zu muessen, doch nichts Konkretes fiel ihr dazu ein. Ob sie etwas essen sollte oder etwas trinken? Wo war hier denn eigentlich die Toilette? Sie verwarf die Gedanken und beschraenkte sich alleine darauf, die Sitzeinstellung des Piloten zu kopieren und sicherzustellen, dass sie alle wichtigen Stellen bequem erreichen konnte. Gerade als sie dem Mann neben ihr ein Zeichen geben wollte, fiel ihr noch etwas ein. Einen Moment zoegerte sie, schliesslich war ihr eigentlich klar, wie die Antwort lauten wuerde, doch dann gab sie sich doch einen Ruck und fragte: "Aehm, Entschuldigung, noch eine Frage. Gibt es hier vielleicht noch irgendwo ein etwas bequemeres Kissen...fuer meinen Ruecken...ein ganz kleines vielleicht?" *** "Bitte?" fragte Andrew, der sich durch diese Frage gehoerig auf den Arm genommen vorkam. "Drehen Sie doch einfach das Stellrad fuer die Sitzhaerte weiter nach links, dann wird die Lehne weicher. Ein KISSEN werden Sie in diesem Erkunder ganz sicher nicht finden!" Er bereitete unterdessen die Technik weiter vor, und drueckte dann abschliessend die Starttaste fuer die Triebwerke. Mit einem Donnern sprangen diese unter der kleinen Kabine an, und fuhren dann grollend hoch. "Von mir kann es losgehen", kommentierte der Pilot, "Sitzen Sie bequem?" *** Einen leisen Fluch vor sich hinmurmelnd spielte die junge Frau an der Einstellung ihres Sessels herum, die ihr viel zu kompliziert und benutzerunfreundlich vorkam. Schliesslich nahm die Lehne einen Zustand an, den sie als tauglich akzeptieren konnte, auch wenn er von dem, was sie als optimal empfunden haette, einiges entfernt war. "Ich denke, es kann losgehen", gab sie schliesslich zu verstehen. *** "Okay, also los!" sprach Andrew in einem Ton, als muesse er sich selbst Mut zusprechen. Im Grunde war das, was sie hier starteten, ja auch alles andere als gewoehnlich, wer flog schon mit einem solchen Erkunder quer durch ein Sonnensystem, und das mit vielen abgeschalteten Systemen? Er loeste die Triebwerkssperre und fuhr dann beide Maschine hoch, was diese damit quittierten, dass sich ihr Grollen in ein immer schriller werdendes Heulen steigerte. Zugleich setzte eine Kraft ein, die die Menschen zuerst sanft, und dann immer staerker in ihre Sitze presste. Die Augen des Piloten ruhten dabei auf den Leistungsmessern der Triebwerke und dem Beschleunigungsmesser, denn bei aller Theorie der Rechnung waren die Triebwerke doch technische Anlagen, die Verschleiss und Alterung ausgesetzt waren, so dass keinesfalls sicher war, ob sie bei einer Beschleunigung von 12 m/s^2 wirklich nur die berechnete Menge Aktivmaterie verbrauchen wuerden, oder ob der Verbrauch nicht sogar deutlich hoeher liegen wuerde. Mit zunehmender Triebwerksleistung und damit Beschleunigung wurde der Flug zunehmend holpriger, ein Effekt, den Andrew zwar kannte, an den er aber nicht gedacht hatte, und der in dieser Form - einem staendigen Ruetteln und Schuetteln wie in einem Fahrstuhl, der nicht wirklich gut gefuehrt ist - auch dann erhalten blieb, als der Beschleunigungsmesser genau bei 12 stand, und der Energieverbrauch in etwa den erwarteten Wert erreicht hatte und um diesen pendelte. "So", kommentierte er ueberfluessigerweise, "nun sind wir unterwegs!" Das nach wie vor praesente Holpern kommentierte er jedoch nicht weiter. *** Mit fest zusammengepressten Lippen starrte Jasmine vor sich hin. Noch nicht einmal bei dem unpassenden Kommentar des Piloten verzog sich ihre Miene. Ihre Haende hatten sich fest an die Lehne ihres Sessels geklammert und auch sonst nuetzte die neueingestellte Weichheit ihrer Lehne bei ihrer verkrampften Koerperhaltung wenig. 'Diesen Flug werde ich nicht ueberleben' rauschte es immer und immer wieder durch ihren Kopf und mit jedem Holpern wurde der Gedanke intensiver. *** Kurz nach Beginn der Beschleunigungsphase setzte Andrew die erste der beiden Bojen aus, die hinter der rasch schneller werdenden ANACONDA zurueckblieb, und wohl auf viele Jahre hinaus die Botschaft vom Schicksal der SNAKE und der beiden Ueberlebenden in den Kosmos senden wuerde. Die beiden kraeftigen Triebwerke schoben den kleinen Erkunder mit hoher Geschwindigkeit in Richtung des Zieles, aber dennoch mussten sie fast einen ganzen Tag laufen, um die gewuenschte Endgeschwindigkeit zu erreichen, die wiederum benoetigt wurde, um den Flug innerhalb von nur fuenf Tagen zurueckzulegen - eine Strecke, die gemessen an den Entfernungen, die die beiden Menschen vom naechsten heimatlichen Stuetzpunkt trennte, einfach nur verschwindend klein war, aber trotzdem derart lange Flugzeiten erforderte. Somit folgen fuenf Tage der absoluten Ruhe auf den einen Tag der holprigen Beschleunigung, kuendete fast absolute Stille davon, dass alle Systeme des kleinen Raumschiffes soweit gedrosselt waren, dass sie minimal Energie verbrauchten, und gerade so dafuer sorgten, dass die beiden Menschen an Bord leben konnten. Auch diese fuenf Tage der Schwerelosigkeit und des Nichtstuns endeten schliesslich, und zum genau berechneten Zeitpunkt drehte Andrew das Schiff, so dass es mit dem Heck voran flog, und fuhr die Triebwerke dann wieder hoch, die mit der Bremsphase begannen, die rein rechnerisch genauso lange dauern wuerde wie zuvor die Beschleunigung. Fast ein ganzer Tag verging. Auf einem der noch aktiven Bildschirme, der das Bild des Zielplaneten anzeigte, setzte sich der schon vor einer Woche begonnene Trend weiter fort - der Planet wurde immer groesser. Hatte er vor gerade einer Stunde bei unveraendertem Zoom gerade einmal die Haelfte des Bildes ausgefuellt, so wuchs er nun ueber dieses hinaus und veranlasste Andrew ein weiteres Mal - insgesamt vielleicht das zwanzigste Mal - den Zoom niedriger einzustellen. "Wir sind in Kuerze bereit, in die Umlaufbahn zu gehen, so wir das wuenschen. Alternativ koennen wir auch gleich aufs Geradewohl in die Atmosphaere eintauchen, das wuerde einiges an Energie sparen, aber unsere Wahl eines Landeplatzes erheblich einengen. Was meinen Sie?" Mit diesen Worten brach der Pilot das schon recht lange waehrende Schweigen an Bord. *** Jasmine sah vom Monitor auf und den Piloten einen Moment verdutzt an, denn schliesslich waren es die ersten Worte von ihm, die sie seit etwa drei Tagen hoerte. Obgleich die Tage davor ebenfalls alles andere als gemuetlich gewesen waren, waren diese drei Tage die Hoelle gewesen. Wuerde man denken, dass eine Extremsituation wie diese zwei Menschen einander naeher bringen wuerden, war bei dem Piloten und der Wissenschaftlerin das Gegenteil geschehen. Zunaechst hatten beide versucht, verhaltenen Smalltalk zu betreiben, der jedoch schnell dazu fuehrte, aufzuzeigen, dass es keinerlei gemeinsamen Interessen gab und auch sonst nichts, worueber sie sich unterhalten konnten. Irgendwann war Jasmine dazu uebergegangen, Andrew, zumindest den Namen hatten sie voneinander erfahren, indiskrete Fragen ueber sein Privatleben zu stellen, zunaechst ueber seine Familie, dann ueber seinen Familienstand, schliesslich zu vergangenen Liebschaften. Erst hatte der Pilot die Fragen kurz angebunden beantwortet, dann genervt abgeblockt, bis er ihr schliesslich sehr deutlich klar machte, dass er solche Fragen nicht gerade angemessen fand, was bei Jasmine zu einer Phase des beleidigten Schmollens fuehrte. Der heftige Streit war aber erst dann ausgebrochen, als Andrew dahinter kam, dass Jasmine heimlich immer etwas von dem kostbaren und lebenswichtigen Wasser abzweigte, um sich damit zu waschen. Auf eine schnippische Erwiderung der jungen Frau, war bei dem Piloten dann endgueltig der Geduldsfaden gerissen. Wuetend schrie der die Frau an, die so leichtsinnig ihr Leben aufs Spiel setzte und vielleicht haette er sogar noch haertere Massnahmen ergriffen, wenn Jasmine nicht in derart lautes Weinen ausgebrochen waere und er annahm, dass ihr unvernuenftiges und gefaehrliches Verhalten noch irgendwie mit dem Schock zusammen hing, den der Verlust ihrer Freunde und Gefaehrten bei ihr ausgeloest hatte. Danach huellten sich beide in Schweigen... Jasmines Stimme klang unsicher, als sie Andrew antwortete: "Ich wuerde es vorziehen, in die Umlaufbahn zu gehen. Es nuetzt uns nichts, wenn wir unsere Reise mit einer Bruchlandung beenden. Andererseits kommt es natuerlich auf die Ressourcen an. Koennen wir es uns energietechnisch leisten?" *** Andrew rechnete kurz, ehe er eine Antwort gab. "Ich denke schon", sagte er dann, "der Mehrverbrauch dadurch ist so verschwindend klein gegen die Energie, die unsere Bremsung kostet, so dass es wirklich nicht der Rede wert ist. Denn so arg viel ist es gar nicht - wir muessen nun nur noch bis auf die erste kosmische Geschwindigkeit herunterbremsen und koennen dann gleich in die Umlaufbahn gehen, waehrend wir bei einem direkten Anflug deutlich langsamer werden muessten. Und die Landung aus der Umlaufbahn, dazu genuegt eine sehr kleine Bremsung, und den Rest kann die Atmosphaere besorgen. Wichtiger ist..." Er rechnete noch einmal ein wenig herum, dann wandte er sich wieder Jasmine zu. "... dass wir nur ungefaehr drei Stunden aus der Umlaufbahn heraus suchen duerfen, das sind gerade einmal zwei Umlaeufe. Beim dritten Umlauf muessen wir dann landen, mehr Zeit laesst uns der Sauerstoff nicht. Arg viel suchen koennen wir also nicht, ich wuerde vorschlagen, wir gehen in eine Umlaufbahn ueber dem Aequator und lassen den Rechner schon bei der ersten Runde suchen, um in der zweiten zu landen, damit gewinnen wir Zeit. Aus so einer Bahn koennen die Scanner alles erfassen, mit Ausnahme der Polargebiete, und da wollte ich nun wirklich nicht landen." Er wandte sich noch einmal dem Pult zu, und aenderte den Kurs eine winzige Spur, denn aus der jetzigen Position heraus war die noetige Aenderung minimal, spaeter wuerde sie deutlich aufwendiger sein. "Wie saehe denn Ihrer Meinung nach der optimale Landeplatz aus?" Er wandte sich waehrend der Frage nicht zu ihr um, sondern war schon dabei, das entsprechende Suchmuster fuer den Rechner vorzubereiten, um ihre Ideen - und spaeter auch die seinen - gleich einarbeiten zu koennen. *** Jasmine tippte sich nachdenklich an die Nase. Der Hunger und die Erschoepfung, die sie verspuerte, machten es ihr schwer, sich zu konzentrieren. "Ich denke, die Naehe eines Suesswassersees mit etwas Wald in der Naehe waere optimal, um unsere Versorgung zu gewaehrleisten, selbst wenn wir das Ding hier nicht verlassen koennten. Da der Planet, wie wir bereits wissen, bei seiner Erforschung keinerlei Spuren von intelligentem Leben aufwies, muessen wir darauf nicht achten. Natuerlich brauchen wir eine geeignete Landeflaeche, oder werden wir im Wasser landen?" *** Waehrend Jasmine redete, huschten Andrews Finger ueber die Tasten. "Suesswassersee mit Wald in der Naehe, okay." Er sprach dies halblaut mit, dann wandte er sich der Wissenschaftlerin zu. "Normalerweise ist diese Kiste hier nicht dafuer gebaut, auf einem Planeten zu landen, der eine Atmosphaere hat, auch wenn es durchaus moeglich ist. Der normale Weg dafuer ist es, mit Hilfe der Gegenschwereantriebe langsam in die Atmosphaere einzutauchen, und dann schlicht nach unten zu sinken, bis der Erkunder aufsetzt. So stehts im Handbuch, aber das ist fuer uns absolut nicht realisierbar, denn die Gegenschwere wuerde dabei mehr Energie verbrauchen, als wir uebrig haben. Also muessen wir auf die altertuemliche Weise in die Atmosphaere eintauchen, einen halbwegs aerodynamischen Flug versuchen, und auf dem letzten Stueck dann erst mit der Gegenschwere landen. Was wir dabei fuer einen Untergrund haben, ist vollstaendig egal, wir setzen schlicht sanft auf." Er ueberlegte kurz, aber das war alles, was es zum normalen Ablauf zu sagen gab. Zu den Problemen indes... "Das jedenfalls, wenn alles gut geht. Wenn es das nicht tut, beispielsweise wenn wir zwischendurch das Schutzfeld einschalten muessen, damit wir nicht vergluehen, oder mit den Triebwerken korrigieren muessen, dann kann die Energiebilanz am Ende sehr schlecht aussehen. Und da die Kiste nicht so ganz toll fuer den areodynamischen Flug gebaut ist, kann es dann auch etwas haerter werden, und von daher waere Wasser als Landeflaeche in der Tat gut, moeglichst welches, das nicht zu tief ist, damit wir nicht versinken koennen. Auf der anderen Seite sollte es auch nicht zu klein sein, damit wir es ueberhaupt treffen koennen, denn wir ich schon sagte, so gut flugfaehig ist das Ding ohne Antrieb nicht, und da ist ein grosses Ziel besser zu treffen als ein kleines." *** Jasmine beobachtete die sich veraendernde Karte des Planeten, waehrend sie versuchte, Andrew moeglichst sachkundig zuzunicken, als waeren dies auch all die Punkte, die sie bereits bedacht hatte. "Ein moeglichst grosser und flacher See also. Ich weiss nicht so recht, ob das wirklich guenstig ist, denn alles, was wir ueber den Planeten wissen, ist, dass es dort heisser als bei uns ist. Angenommen, es gaebe da unten groessere Tiere, waere eine solche Flaeche sicher ein beliebter Ort fuer sie." Sie wollte sich reflexartig durch das braune Haar fahren, doch als ihr bewusst wurde, wie lange sie dieses nicht mehr gewaschen hatte, zog sie die Hand rasch zurueck. Es ging ihr kurz durch den Kopf, dass sie fuer ein heisses Bad selbst eine ganze Herde von unbekannten Tieren umbringen wuerde. "Aber wie dem auch sei, wir koennen nicht alles beachten. Haben Sie schon einen Platz gefunden, der Ihnen zusagt?" *** "Das ist noch nicht wirklich moeglich", erwiderte Andrew, "wir werden erst in Kuerze in die Umlaufbahn einschwenken koennen. Ich programmiere nur das Suchmuster, und dann das Manoever, das uns in die Umlaufbahn bringen soll. Das koennte ich nachher zwar auch manuell machen, aber der Rechner duerfte die ANACONDA weitaus energiesparender steuern." Die Geraeusche eifrigen Tippens begleiteten diese Worte. Der Pilot programmierte den Kurs natuerlich nicht wirklich, er fuegte nur existierende Programme blockweise zusammen, und parametrisierte das ganze so, dass es zum konkreten Problem passte, naemlich dem Uebergang aus der derzeitigen Bahn des Anflugs in eine Umlaufbahn um den Aequator des Zielplaneten. Die einzelnen Teile hatte er schon in den Tagen der Schwerelosigkeit untersucht und modifiziert, was fuer ihn eine weit spannendere Beschaeftigung war als die Unterhaltung mit der "Wissenschaftlerin", deren Interessen dem Anschein nach kaum weit ueber ihre Figur und ihre Fingernaegel hinausgingen... "So, fertig. Jetzt haben wir die Flugbahn bis in die Umlaufbahn, und ich bastele jetzt noch am Suchprogramm herum, das ist weniger kritisch, weil wir es auch nachher noch anpassen koennen." Er hielt kurz inne, um den Faden wiederzufinden, denn da war noch eine Bemerkung von Jasmine, die grosse Tiere betraf. "Tiere koennen wir aus der Umlaufbahn natuerlich so genau nicht ausmachen, dass es welche gibt, halte ich fuer sehr wahrscheinlich angesichts der Parameter des Planeten, aber ich denke nicht, dass wir uns darum so gross Gedanken machen muessen. Dieser Erkunder ist stabil, und wir haben durchaus auch noch Waffen, um uns zur Wehr zu setzen. Wobei die natuerlich auch Energie brauchen... aber den Schutz der Aussenhuelle haben wir in jedem Fall. Und ausserdem ist mir ein Tier auf einer grossen freien Wasserflaeche lieber als eines, das sich in einer unuebersichtlichen Gegend anschleicht, finden Sie nicht auch?" Er sah, waehrend er sprach, immer wieder zum Pult, aber noch war die ANACONDA ein Stueck von dem Punkt der automatischen Kursaenderung entfernt. *** "Natuerlich", stimmte Jasmine Andrew zu, wobei der Blick ihrer smaragdgruenen Augen auf den Monitor geheftet blieb, "wobei mir selbst die erstmal egal sind, wenn wir nur heil da unten angekommen sind." Damit hielt die junge Frau, die ihrerseits in letzter Zeit nur wenig Gefallen an den Gespraechen mit dem oft kurz angebundenen, langweiligen Piloten gefunden hatte, den Wortwechsel erst einmal wieder fuer beendet, bis die naechsten Informationen auf dem Bildschirm erscheinen wuerden. *** Auch Andrew schwieg erst einmal, denn er sah nichts, was gesagt werden musste, nachdem ueber die Frage des Landeplatzes so rasch Einigkeit erzielt worden war. So verging eine Reihe von stillen Minuten, bis der Bordrechner auf den Displays das Erreichen der Umlaufbahn ankuendigte und das entsprechende Manoever einleitete. Fuer einige Sekunden steigerte sich das Geraeusch der beiden Triebwerke, und die Menschen wurden von einer staerkeren Kraft in ihre Sitze gedrueckt, dann gab es einen leichten Ruck, und die Aggregate gingen heulend in den Leerlauf zurueck, waehrend der Andruck des letzten Tages durch Schwerelosigkeit ersetzt wurde. "Da sind wir!" kommentierte Andrew, und schaltete die Triebwerke ganz ab, denn die beiden geplanten Umlaeufe wuerden lange genug dauern, um diese Art der Treibstoffeinsparung zu rechtfertigen, insbesondere auch unter dem Umstand, dass die Aktiv-Materie-Tanks der ANACONDA so gut wie leer waren. Ein leichter Impuls der Steuerduesen drehte die ANACONDA so, dass der Bug zum Planeten zeigte, der als blaeulich-weissliche Kugel nun vor den Sichtfenstern erschien. Das war jedoch noch nicht alles, auch auf fast allen noch aktiven Bildschirmen erschien eben dieser Planet in verschiedenen Stufen der Vergroesserung. "Das da scheint ein Ozean zu sein, ein ziemlich grosser sogar", gab der Pilot das wieder, was im Moment der Ankunft in der Umlaufbahn unter dem Erkunder lag. *** Eigentlich wollte Jasmine den Anblick des Planeten mit einem gelangweilten 'Huebsch' kommentieren, doch der Gedanke, was diese blau-weisse Kugel in den naechsten Tagen, Wochen oder gar Jahren fuer sie bedeuten wuerde, liess sie einen kleinen Moment lang verstummen. Obgleich die junge Frau keinerlei Verstaendnis fuer Poesie besass, konnte sie sich vorstellen, dass dies ein Augenblick war, der viele andere dazu angeregt haette, ihn mit ausdrucksvollen Worten zu umschreiben und fuer die Nachwelt festzuhalten. Ein Gefuehl der Ehrfurcht vor diesem mit Leben bedeckten Ball, der da so einsam in der Dunkelheit schwebte, ergriff sie und verhinderte sogleich, dass ihre Frage sofort erfolgte. "Ist abzusehen, wann wir ueber dem Festland sein werden?" *** Andrew zoegerte kurz, ehe er antwortete, denn er musste zuerst noch alle moeglichen Bahndaten vergleichen, um sicherzugehen, dass die ANACONDA die Umlaufbahn wirklich korrekt erreicht hatte, dann wies er auf einen der seitlichen Monitore. "Ich denke mal, so in etwa fuenf Minuten. Auf dem Radarbild ist das gut zu sehen - die Flaeche rechts, die auf dem Direktbild unter den Wolken liegt, duerfte Festland sein." Wieder war der Blick des Piloten dabei ausschliesslich den Bildschirmen zugewandt, und nicht der Wissenschaftlerin auf dem Sitz links neben ihm. Er wartete auch nicht, ob sie irgendwelche weiteren Bemerkungen dazu hat, sondern tippte ohne Pause weiter auf seinem Pult herum, um die Minuten, in denen ohnehin Ozean unter dem kleinen Erkunder lag, noch sinnvoll fuer einige Korrekturen an den Suchmustern fuer den Landeplatz zu nutzen. *** Voellig in den Anblick des Planeten versunken, beteiligte sich Jasmine nicht an der Landeplatzsuche, hatte sie doch das Gefuehl, dass der Pilot auch ohne ihre Hilfe ganz gut zurecht kam. Statt dessen breitete sie vor ihrem inneren Auge der Ozean der Moeglichkeiten immer weiter aus. Angenommen, und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, nahm sie es eigentlich nicht an, sie wuerden die Oberflaeche lebend erreichen, was wuerde sie dort erwarten? Eine giftige, lebensfeindliche Umgebung, angefuellt mit menschenfressenden Monstern? Eine Hochzivilisation einer geheimnisvollen und doch ihnen selbst aehnlichen, humanoiden Spezies? Ein exotisches Paradies voller bunter Blumen und exquisit schmeckender Voegel? Ein knurrendes Geraeusch aus der Magendgegend der Pseudo-Wissenschaftlerin, das die konzentrierte Stille lautstark durchbrach, zeugte davon, dass Jasmine die dritte Variante bevorzugte. *** ------------------------------------------------------------------------- Wird fortgesetzt.